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Ursula von Münsterberg

Eine Nonne flieht aus dem Kloster

Ein Beitrag von Sonja Domröse

Ursula von Münsterberg

Lebensdaten:

1491-1495 - 1534


Beziehungen

Ursula von Münsterberg wuchs als Waise am herzoglichen Hof Albrecht von Sachsens auf. Sie ist die Enkelin des böhmischen Königs Georg Podiebrad, Cousine der sächsischen Herzöge Georg und Heinrich von Sachsen. Martin Luther verfasste ein Nachwort zu ihrer Schrift, mit der sie das Verlassen des Klosters begründet. Mit Katharina von Sachsen (siehe hierzu auch die Biographie zu Katharina von Sachsen) stand sie in engem Kontakt. Johann von Sachsen setzte sich nach ihrer Flucht für sie ein.

Wirkungsbereich

Ursula verfasste – wie neben ihr auch andere ehemalige Nonnen – ein Rechtfertigungsschrift zur Flucht aus dem Kloster. Da sie aus dem europäischen Hochadel stammte, verband Martin Luther mit dieser Schrift die Hoffnung, auch andere Frauen ihrer Gesellschaftsschicht würden diesen Schritt wagen.

Reformatorische Impulse

Eine vom Klosterleben enttäuschte Nonne legt ausführlich in einem Bericht dar, warum sie nicht länger in ihrem Konvent bleiben kann, in dem sie doch aufgewachsen und viele Jahre ihres Lebens verbracht hat. Diese desillusionierte Frau ist nicht irgendwer, sondern sie ist die Enkelin des böhmischen Königs Georg Podiebrad, Cousine der regierenden Herzöge Georg und Heinrich von Sachsen, und daher selbst eine durchlauchte und hochwohlgeborene Herzogin: Ursula von Münsterberg. In 69 Artikeln rechtfertigt sie ihren Schritt, die bergenden Klostermauern des Ordens der heiligen Maria Magdalena von der Buße in Freiberg (Sachsen) zu verlassen. Als sie diese Rechtfertigungsschrift verfasst, lebt sie nach eigenem Bekunden noch im Konvent. „Vollendet und geschrieben mit unserer eigenen Hand, am 28. April 1528“ ist unter ihrem Schreiben zu lesen. Erst Monate später wird sie gemeinsam mit zwei weiteren Nonnen, der Freiberger Bürgerstochter Dorothea Tanberg und der Leipziger Bürgerstochter Margaretha Volckmar, aus dem Kloster fliehen. Am Abend des 6. Oktober hören die Mitschwestern zwar ein ungewöhnliches Pochen an einer der Türen des Konvents, denken sich aber weiter nichts dabei. Erst am nächsten Morgen wird an der Gartentür ein Schleier gefunden und die Flucht der drei Nonnen wird offenkundig. Warum verlassen drei junge Frauen ihr Kloster, um einer sehr ungewissen Zukunft entgegen zu gehen? Ursula von Münsterberg legt ihren Zeitgenossen die Gründe ausführlich dar.

„Solch alles, lieben Freunde, die ihr seid unsere Brüder und Schwestern in Christo, Eines Glaubens und Einer Taufe (Eph. 4,5), haben wir euch öffentlich wollen an Tag geben, auf das ihr kennen möget, dass die Verlassung unsers Ordens nicht herfließe aus einem leichtfertigen Gemüte, sondern aus mächtigen, wichtigen und ernsten Sachen, in denen kein Schimpf nicht vorzuwenden ist.“

Sie wird nicht müde in ihrem Bericht darüber zu schreiben, dass sie nicht aus Leichtfertigkeit gehandelt habe, „sondern dieweil ich schuldig bin, vor Gottes Gericht Rechenschaft zu geben für meine Seele“. Auch nicht aus einer Gemütslaune heraus ist nach eigenem Bekunden ihr Schritt geschehen, „sondern allenthalben bewogen und wohlbedacht.“

Denn Ursula von Münsterberg hatte sich bereits etliche Zeit vor ihrer Flucht aus dem Kloster mit reformatorischem Gedankengut beschäftigt. Die Ehefrau ihres Cousins Heinrich, Herzogin Katharina, spielte dabei eine besondere Rolle. Laut Auskunft einer Mitschwester, die nach Ursulas Flucht aus dem Kloster vernommen wurde, war es die Herzogin, die heimlich Schriften Martin Luthers in das Kloster schmuggeln ließ, so dass Ursula sie lesen konnte.

Ursula benennt in ihrer Rechtfertigungsschrift zum Verlassen ihres Klosters klar und unmissverständlich ihre Glaubenskonflikte sowie ihre ernsthafte Auseinandersetzung mit den theologischen Gründen, die zu ihrer Flucht führten. So schreibt sie über die Klostergelübde von Gehorsam, Keuschheit und Armut: „Und eben die Gelübde, so sie sagen, unsere Seligkeit soll darinne stehen, die sind es, die uns von Gott reißen, und werfen uns in Ungewissheit und ewige Verdammnis; derhalben wir sie haben müssen verlassen.“ Nach allem, was sie im Kloster tagtäglich zu hören bekam, seien Klosterleute wie sie durch die Annahme der Gelübde von „Pein und Schuld“ befreit, ja, die Gelübde seien sogar einer zweiten Taufe gleichzusetzen.

Ursula tritt dieser Auffassung empört entgegen. Sie argumentiert dabei mit einer ganz spezifisch weiblichen Deutung der Verbundenheit mit Jesus Christus: Durch die Taufe sei sie eine Braut Christi geworden und mit ihm in eine eheliche Gemeinschaft getreten. Durch ihre Klostergelübde aber, die wie eine zweite Taufe verstanden würden, breche sie diese Ehe und setze sich über andere Christen. 

Sie bekennt freimütig, dass sie trotz aller Gelübde nie ihre Glaubenszweifel verlor. Sie beschreibt diesen Zustand sehr anschaulich. „Wir werden wie ein Rohr vom Winde hin und her getrieben in unserem Glauben, und werden mächtig angestoßen mit starkem Platzregen des Erschreckens und Zweifels an Gott, und denn mit starken Winden menschlicher Lehren, und mit großem Gewässer der Anfechtung, dass wir fühlen, dass wir gar nicht länger bestehen können in unserem Glauben.“

Als weitere Gründe ihrer Flucht führt sie die theologische Überzeugung an: Nur durch den Glauben sind Menschen vor Gott gerechtfertigt und eben nicht durch eigene Werke. Daher ist in Ursulas Augen der Weg, durch das Klosterleben selig zu werden, ein falscher. Ihr letztes Argument gilt der Nächstenliebe und der Seelsorge der christlichen Gemeinde. Durch das abgeschlossene Klosterleben seien weder tätige Nächstenliebe noch seelsorgerliche Arbeit möglich, obwohl Ursula die Not vieler außerhalb des Klosters gesehen habe.

Die Reformatoren hatten früh begonnen, gegen das Klosterleben zu argumentieren. So forderte Martin Luther bereits 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ die Klöster sollten in Schulen verwandelt werden. Andreas Bodenstein, genannt „Karlstadt“, wurde in seiner 1521 erschienenen Flugschrift „Unterrichtung von den Gelübden“ noch deutlicher. Die Klostergelübde seien nicht bindend, argumentiert er, daher könnten Klosterleute mit gutem Gewissen ihren Konvent verlassen und heiraten. Ebenso setzte sich1521 Philipp Melanchthon kritisch mit den klösterlichen Gelübden auseinander. In seinem theologischen Lehrbuch, den „Loci“,  schreibt er: „Die Schrift gebietet weder, irgendein Gelübde abzulegen, noch rät sie es. Gott billigt aber nur das, was er gebietet oder anrät.“ Ein Jahr später machte Martin Luther in seiner auf der Wartburg verfassten Schrift „Von den Mönchsgelübden“ seine Position klar.

Manche Reformatoren nahmen dabei allerdings auch keine Rücksicht auf den Willen der im Kloster lebenden Frauen. Ein unrühmliches Beispiel ist aus der Reichsstadt Nürnberg überliefert, in der der Rat der Stadt – gemeinsam mit dem Reformator Andreas Osiander – einen nicht unbeträchtlichen Eifer an den Tag legte, um Nonnen aus den Klöstern durch Anwendung von Gewalt zu zwingen. Gut dokumentiert sind dabei die Geschehnisse um das Klarissenkloster, dem als gebildete, geistesgewandte und selbstbewusste Äbtissin Caritas Pirckheimer (siehe die Biographie zu Caraitas Pirckheimer) vorstand. Sie war die Schwester von Willibald Pirckheimer, einem weitgereisten und hochgebildeten Juristen, Diplomaten und Geschichtsschreiber, und entstammte einer angesehenen Nürnberger Patrizierfamilie. In ihren „Denkwürdigkeiten der Äbtissin Caritas Pirckheimer“ schildert sie eindrücklich den Zwang, unter den sie zunehmend mit ihren Klosterschwestern geriet. Ihre franziskanischen Beichtväter wurden ihnen entzogen und sie mussten zwangsweise evangelischen Predigern zuhören, die sie beschimpften. Anwesenheitskontrollen wurden durchgeführt. Damit nicht genug wurde auch kontrolliert, ob die Nonnen sich nicht mit Wolle die Ohren zugestopft hatten. Unter Zwang sollten die Klosterfrauen weltliche Kleidung tragen und ihre Nonnentracht ablegen. Bei den Stundengebeten flogen Steine über den Lettner auf die versammelten Klosterschwestern, auf dem Friedhof vor dem Kloster wurden von Anhängern der Reformation Spottlieder gesungen. Eltern holten ihre erwachsenen Töchter gegen deren Willen und unter Anwendung von körperlicher Gewalt aus dem Kloster. In einem Gutachten rechtfertigte Andreas Osiander dieses Verhalten ausdrücklich und empfahl, die widerspenstige Äbtissin Caritas Pirckheimer aus der Stadt zu weisen.

Caritas Pirckheimer, die zeitlebens mit vielen angesehenen Humanisten und Gelehrten in brieflichem Austausch stand, wandte sich in ihrer Not an ihren Bruder Willibald, der wiederum einen regen Briefwechsel mit Philipp Melanchthon unterhielt. Bei einer Reise Melanchthons nach Nürnberg kam es 1525 zu einem langen Gespräch zwischen Caritas Pirckheimer und dem Wittenberger Reformator. Melanchthon erklärte dabei, dass niemand mit Gewalt gezwungen werden könne, ein Kloster zu verlassen. Denn im Kloster könne man ebenso selig werden wie in der Welt, sofern man die gegebenen Gelübde nicht als verdienstlich ansehe. Waren für Melanchthon die Klostergelübde jedoch nicht ewig bindend, so sah Äbtissin Caritas Pirckheimer dies anders und betonte, Gott gegebene Versprechen müsse man halten. Trotz dieser Meinungsverschiedenheit gab es in vielen Dingen eine große Übereinstimmung der beiden und Caritas Pirckheimer äußerte sich mehrfach nach der Begegnung positiv über Melanchthon und wünschte, alle Evangelischen mögen so weitherzig handeln wie er. Als Folge des Gesprächs sprach sich Melanchthon dem Rat der Stadt Nürnberg gegenüber sehr deutlich gegen Gewaltmaßnahmen in Klöstern aus.

Mit Androhung von Zwangsmaßnahmen hatte auch Ursula von Münsterberg nach ihrer Flucht aus dem Kloster zu kämpfen. Kaum hatte sie am 6. Oktober 1528 heimlich das Kloster verlassen, folgt schon wenige Tage später der erste Brief ihrer Vettern Georg und Heinrich an den lutherischen Kurfürsten Johann, in dessen Gebiet Ursula geflohen war. Darin fordern die Brüder, dass die aus Freiberg entflohenen Nonnen aufzuspüren seien und „an den Ort möchten gebracht werden, dahin sie sich durch ihren Eid ergeben haben.“ Unter Gewaltanwendung sollten die drei Geflüchteten also wieder zurückgebracht werden in ihr Kloster.

Ein reger Briefwechsel der Regenten setzt daraufhin ein, in dem sich Kurfürst Johann schützend vor Ursula stellt, während Georg und Heinrich weiterhin die Auslieferung Ursulas und die Bestrafung derjenigen fordern, die ihr und ihren Mitschwestern zur Flucht verholfen hätten. Georg versucht darüber hinaus die Veröffentlichung von Ursulas Rechtfertigungsschrift, in der sie die Gründe ihrer Flucht darlegt, massiv zu verhindern. „Denn wenn sie das vorhat, würde es den frommen Geistlichen und fügsamen Kindern, die sich ihrer Pflicht gemäß im Kloster aufhalten, nicht wenig zum Ärgernis und zum Bösen gereichen und vor ihrer Verwandtschaft schwerlich zu verantworten sein. Dadurch würde auch weiter Geschimpfe erregt, dergleichen möchten viele arme unverständige Seelen aus Einfalt verursacht werden, von ihrem christlichen zu einem gottlosen Wesen abzufallen, wie man denn an vielen Orten jetzt hin und wieder findet,“ schreibt er an Johann von Sachsen.

Verhindern kann er damit die Veröffentlichung aber nicht. Vielmehr verfasst Martin Luther sogar noch ein Nachwort. Die drei entflohenen Nonnen halten sich noch eine Zeit lang in Wittenberg auf, bevor sie an verschiedene Orte weiterreisen. Das letzte Lebenszeichen Ursulas stammt aus dem Februar 1534, danach verliert sich ihre Spur.

Kommentar

Frauen, die nicht mehr im Kloster leben wollten, brachte die Reformation eine neue Freiheit. Außer dem Modell der Ehefrau, deren Status durch die reformatorische Lehre enorm aufgewertet wurde, bot sich den ehemaligen Nonnen aber keine neue Lebensform. Die Reformatoren schufen keine Ämter in der Kirche für Frauen. Hatte in der katholischen Kirche die Äbtissin eines Frauenklosters auch weiterhin ein kirchliches und geistliches Amt, so gab es über Jahrhunderte hinweg nichts Vergleichbares in der evangelischen Kirche. Zwar wurde ganz zu Beginn der Reformation in Straßburg darüber diskutiert, weibliche Diakone zu installieren, die Idee aber nie realisiert. Katharina Zell hatte in ihren Ausführungen zu Reformen im „Blatternhaus“ ihrer Heimatstadt Straßburg 1557 als seelsorgerliche Begleitung der Kranken nicht nur einen „Hausvater“, sondern auch eine „Hausmutter“ gefordert. Aber auch dieser Vorstoß fand keinen Widerhall.

So öffneten sich für die Frauen, die die Klostermauern als Gefängnis empfanden, wie es Ursula von Münsterberg eindrucksvoll in ihrer Rechtfertigungsschrift darlegte, neue Möglichkeiten und Lebensperspektiven. Durch die Auflösung der Klöster wurde aber Frauen auch eine Perspektive versperrt, ihr Leben außerhalb der Ehe in einem autonomen, nicht von Männern dominierten Raum zu gestalten.

Zum Weiterlesen

R. Bainton: Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1996, bes. 40-55.

S. Domröse: Frauen der Reformationszeit. Gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen 2010, bes. 73-86.

G. Jancke: Ursula von Münsterberg und der Versuch einer Reformation des Freiberger Magdalenerinnenklosters, in: Verein zur Erforschung der Dresdner Frauengeschichte (Hrsg.), Frauen in der Kirchengeschichte Sachsens. Ein Lesebuch, Dresden 1997, 23-40.