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Charlotte von Kirschbaum

Frau und Mann als Gegenüber

Ein Beitrag von Doris Brodbeck

Charlotte von Kirschbaum Copyright: Karl Barth-Archiv Basel

Lebensdaten:

1899 - 1975


Beziehungen

Charlotte von Kirschbaum wurde am 25. Juni 1899 in Bayern in einer Adelsfamilie als Tochter eines Berufsoffiziers geboren und trat unter dem Eindruck des ersten Weltkriegs eine Berufsausbildung als Rotkreuzschwester an. Ihr Interesse an Philosophie und Theologie ließ sie 1924 die Bekanntschaft mit dem Schweizer Theologen Karl Barth machen, der sie schließlich 1929 als seine Privatsekretärin in seinen Haushalt aufnahm. Sie unterstützte ihn bei administrativen Aufgaben, beflügelte aber auch seine Arbeit durch ihr Interesse am theologischen Suchen und vertrat ihn bisweilen sogar bei kirchlichen Konferenzen und indem sie an seiner Stelle Studenten und Freunden antwortete. Ihr eigener Interessensschwerpunkt, zu dem sie sich mehrere Male in selbständigen Publikationen und Vorträgen geäußert hat, war die Frage nach der theologischen Stellung der Frau. Sie konnte auch Karl Barth zur Einbeziehung solcher Fragestellungen in seine Werke, vor allem in die Kirchliche Dogmatik (= KD) III,2 und III,4 bewegen. Die letzten zehn Lebensjahre verbrachte sie in geistiger Umnachtung, der heutigen Alzheimerkrankheit vergleichbar. Sie starb am 24. Juli 1975 in Riehen (Baselstadt, Schweiz)

Wirkungsbereich

Charlotte von Kirschbaum wie auch Karl Barth verstanden das Geschlechterverhältnis von Mann und Frau als ein befruchtendes wie auch kritisches Gegenüber der Geschlechter. Die Geschlechterrollen sollten sich dabei von der biblischen Offenbarung, die in einer Zeit patriarchaler Ordnung geschah, herausfordern lassen. Aus Charlotte von Kirschbaums wenigen eigenen Schriften kann zudem eine besondere Gewichtung herausgelesen werden. Sie befasste sich in „Die wirkliche Frau“ (1949) mit der existentialphilosophischen Denkerin Simone de Beauvoir und pflichtete deren sozialer Analyse und Kritik am Patriarchat bei. Sie widersprach aber dem existentialistischen Ansatz, indem sie die Frau nicht aus sich selbst, sondern christologisch aus der Begegnung mit Christus heraus verstehen wollte. So gab Charlotte von Kirschbaum den Frauen der Evangelien eine paradigmatische Funktion für das Selbstverständnis der Frau überhaupt. Sie sah in deren Begegnung mit Jesus eine symbolische Verkörperung der christlichen Gemeinde und zugleich eine Befreiung der Frau. Daneben hatte Maria für sie und Karl Barth eine weitere, besondere Rolle. Sie steht für die reale Begegnung mit Gottes Gnade im menschlichen Leben, nicht aber für eine idealisierte Überhöhung der Frau wie die zum Katholizismus konvertierte Theologin Gertrud von le Fort Maria beschrieb. In „Die wirkliche Frau“ sprach Charlotte von Kirschbaum von der Inkarnation Gottes in Marias Körper: „Maria darf als Erste die Fleischwerdung des Sohnes Gottes an ihrem eigenen Leib erfahren. [...] Mag die Weltgeschichte dem Manne die geschichtliche Tat zuschreiben, die Geschichte Jesu Christi ist keine Männergeschichte!“ (Kirschbaum 1949: 66).

Die amerikanische Historikerin Suzanne Selinger zeigte auf, dass Charlotte von Kirschbaum auch die unverheiratete, berufstätige Frau in den Blick nahm, während Karl Barth sein theologisches Frauenbild im Kontext der Ehe entwickelte. Für Charlotte von Kirschbaum lebten auch Ledige in Relation zum anderen Geschlecht: „Und es kann wohl sein, dass der alleinstehende Mann oder die alleinstehende Frau stärker in der Begegnung lebt als mancher Mann und manche Frau in der Ehe“ (Kirschbaum 1949: 16).

Schließlich stand Charlotte von Kirschbaum mit zwei schriftlichen Arbeiten auch für die Anerkennung von Theologinnen im Pfarramt ein, allerdings nicht in konfrontativ kämpferischer Form, sondern mit Hinweis auf das paulinische Schweigegebot: 1942 schaltete sie sich in die Diskussion um das Amt der Vikarin (Pfarrhelferin) in Deutschland ein, indem sie dem befürwortenden Gutachten des deutschen Neutestamentlers Ernst Käsemann eine dialektisch-theologische, letztlich aber ebenfalls befürwortende Stellungnahme entgegensetzte, die weniger polarisieren sollte. Sie führte dies 1951 im Aufsatz „Der Dienst der Frau in der Wortverkündigung“ weiter aus, enttäuschte damit aber alle jene, die die biblischen Worte von „Unterordnung“ und vom „Schweigen der Frau“ vermeiden wollten.

Reformatorische Impulse

Die dialektische Theologie von Karl Barth hat die reformierten Kirchen stark geprägt ohne dass Charlotte von Kirschbaums Herangehensweise bislang mitbedacht worden wäre. Sie hatte keine Lobby – weder auf Seiten der Frauenemanzipation noch auf Seiten der Barthianer – und hat dies auch nicht gesucht. Doch so widerborstig wie Karl Barth sein konnte, wenn er frauenemanzipatorische Bestrebungen zum Beispiel an der ersten ökumenischen Weltkirchenkonferenz in Amsterdam 1948 mit dem Hinweis auf das Schweigegebot und die Unterordnung der Frau abschmetterte, war Charlotte von Kirschbaum nicht. Vielmehr bedauerte sie, dass eine Verständigung mit den Frauen nicht zustande kam, wie ihre Tagebuchnotiz vom 12.12.1949 „Ach, nicht gut“ zu einem Treffen Karl Barths mit Basler Theologinnen zeigt. Widerständig bleibt ihr Ansatz aber dennoch, weil sie Unterordnung und Schweigen mitberücksichtigen wollte. In dialektischer Weise verstand sie diese als Anfrage an die heutige Zeit, jedoch nicht als unüberwindbares Gesetz. Dass die Berücksichtigung des ursprünglich Gemeinten auch zum gegenteiligen Verhalten führen kann, zeigt die folgende Überlegung zum paulinischen Schweigegebot, das angesichts der allzu schweigenden Gemeinde ein Sprechen nötig macht: „Die Gemeinde bedarf heute eines Weckrufes zur aktiven Beteiligung, und es könnte darum das Zeugnis der Frau heute durchaus darin bestehen, dass sie hervortritt und das Wort ergreift, dass sie als berufener Diener am Wort tätig ist“ (Kirschbaum 1951: 114).

Gerade das Verständnis der Geschlechter aus dem „Gegenüber“, wobei die Geschlechter einander immer wieder ein Geheimnis bleiben, und dessen Auswirkung auf die Ehe, die nicht auf die Fortpflanzung reduziert wird, ist stark in der Reformation verwurzelt. Auch die symbolische Rolle der Frauen um Jesus, die die christliche Gemeinde antizipieren, und das Verständnis von Marias Rolle in der Offenbarungsgeschichte Gottes sind Ansätze, die gerade im Weiterschreiten der reformierten Kirchen nicht verloren gehen sollten.

Kommentar

Charlotte von Kirschbaums Schriften eignen sich nicht, um auf die Schnelle passende Zitate für die eigene Meinung zu bekommen, wohl aber, um auf einen Denkweg mitgenommen zu werden, der jenseits von schablonenhaftem Pro und Kontra alternative Lösungswege auftut. Leider ist die Person Charlotte von Kirschbaums bis heute mit Vorurteilen behaftet, sodass es schwierig ist, sich ihrem theologischen Nachdenken unbefangen zuzuwenden. Sie wird bedauert, weil sie im Schatten Karl Barths gestanden habe, ihr Beitrag zur Entstehung und Entfaltung von Karl Barths theologischer Position wird dazu missbraucht, Karl Barths Verantwortung für seine Schriften zu schmälern, und schließlich wird die Nennung ihrer Person mit einer moralischen Verurteilung des Dreiecksverhältnisses im Hause Barths verbunden. Kurz, diese Umstände führten dazu, Charlotte von Kirschbaum zu übergehen und Karl Barths Theologie in der Geschlechterfrage von seiner Biographie zu lösen. Manches harte Wort, das Karl Barth gegen die Frauen zu sagen müssen meinte, hört sich in den Schriften Charlotte von Kirschbaums viel sanfter und verständlicher an.

Zwar bin ich keineswegs eine Verfechterin der Unterordnung der Frau und unterstütze die Kritik an Karl Barth, wonach er statt überheblicher Scherze zu machen die berechtigten Anliegen von Frauen stärker hätte aufgreifen sollen. Angesichts der realen Verhältnisse, in denen sich Männer allerdings allzu schnell durch selbstbewusste Frauen provoziert und herabgewürdigt vorkommen, kann das Wissen um die symbolische Unterordnung und ein Nachgeben von Seiten der Frau dennoch entlastend wirken. So wie sich Karl Barth durch seine starke Mutter und Ehefrau offenbar eher brüskiert als verstanden vorkam, so wurde er durch Charlotte von Kirschbaums unterordnendes Verhalten gedanklich beflügelt und aus seiner Einsamkeit erlöst, wie dies Suzanne Selinger nachvollziehbar herausarbeitete. So kann es im zwischenmenschlichen Umgang hilfreich sein, neben dem Weg der Emanzipation auch Charlotte von Kirschbaums Strategie zu kennen. Sie zeigt auf, dass ein eigener Weg gefunden werden kann, gerade auch unter Einbezug unbequemer biblischer Textstellen.

Zum Weiterlesen

D. Brodbeck: Charlotte von Kirschbaums theologische Bestimmung der Frau im Kontext von Karl Barths Persönlichkeit und Theologie, in: H. Klueting/J. Rohls (Hgg.), Emder Beiträge zum reformierten Protestantismus, Wuppertal 2001, 291-298.

Ch. von Kirschbaum: Der Dienst der Frau im NT (1942), in: D. Brodbeck (Hg.), Unerhörte Worte. Religiöse Gesellschaftskritik von Frauen im 20. Jahrhundert. Ein Reader, Bern/Wettingen 2003, 153-159.

Ch. von Kirschbaum: Die wirkliche Frau, Zollikon 1949.

Ch. von Kirschbaum: Der Dienst der Frau in der Wortverkündigung, in: Theologische Studien 31 (1951), 3-31.

S. Selinger: Charlotte von Kirschbaum and Karl Barth. A Study in Biography and the History of Theology. Pennsylvania 1998.