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Apollonia Hirscher

Powerfrau im Siebenbürgischen Kronstadt zur Zeit der Reformation

Ein Beitrag von Gerhild Rudolf

Apollonia Hirscher Copyright: www.siebenbuerger.de

Lebensdaten:

unbekannt - 1547

Unter weiteren Namen bekannt als:

die Hirscherin


Beziehungen

Am östlichen Rande des Abendlandes, in einer Zeit großer Veränderungen, wirkte Apollonia Hirscher erfolgreich als Kauffrau und Wohltäterin.

Sie lebte zu der Zeit, als in der Stadt am Fuße der Karpaten gerade die Reformation eingeführt wurde. Kronstadt (lateinisch Corona, rumänisch Braşov, ungarisch Brassó) verstand sich im 16. Jahrhundert als autonome Stadtrepublik. Geleitet wurde dieses siebenbürgisch-sächsische Gemeinwesen von gewählten Bürgern: dem Stadtrichter, den Ratsherren und der Versammlung der Hundertmänner.

Apollonias Geburtsdatum ist nicht bekannt, der Name ihrer Herkunftsfamilie ist nicht überliefert. Es darf angenommen werden, dass die Kaufmannsgattin selbst aus einer angesehenen Bürgerfamilie stammte. Apollonia hatte mindestens ein Kind, da in den Chroniken der Stadt ihre Tochter Barbara als erste Ehefrau des Stadtrichters Johannes Benkners d. J. erwähnt wird.

Der Todestag Apollonias ist, verbunden mit einer beeindruckenden Würdigung, in der Stadtchronik des Organisten Hieronymus Ostermayer vermerkt: „Anno 1547, den letzten Tag Decembris ist die vieltugendsame, gottesfürchtige Matrona Apollonia, des in Gott ruhenden Herrn Lucae Hirscher seliges Gedächtnisses Hausfrau, im Herrn seligen entschlafen. Eine kluge, verständige Frau, welche gerne Almosen gegeben und der Armut viel Gutes erzeiget.“

Solange ihr Mann noch lebte, erschien Apollonias Name nicht in den Urkunden. Lukas Hirscher, ab 1528 Stadtrichter, war ein angesehener Bürger und einer der bedeutendsten Stadtrichter Kronstadts überhaupt. Er starb 1541. Seine gesellschaftliche Stellung beeinflusste die Wirkungsmöglichkeiten seiner Witwe, die auf dieser Grundlage und Dank ihres Durchsetzungsvermögens wirtschaftlich, politisch und sozial-karitativ tätig werden konnte.

Wirkungsbereich

Apollonia Hirscher führte selbst die Handelsfirma ihres verstorbenen Mannes Lukas Hirscher weiter und gründete nebenbei mehrere wohltätige Stiftungen.

Die erfolgreiche Kauffrau handelte mit Messern, Wachs, Tuch, Immobilien. Die von der Historikerin Dr. Maja Philippi daraufhin untersuchten Zoll- und Steuerregister geben Auskunft darüber, wie ausgedehnt dieser Großhandel war: von Österreich bis in die Walachei und ins Osmanische Reich. 1545 ließ Apollonia Hirscher um 8000 Gulden auf dem Marktplatz ein Kaufhaus errichten. 70 Meter sind die beiden Seitentrakte lang und umfassen zwei Innenhöfe. Handwerker und Händler hatten in den Gewölben gute Verkaufsstände, im Keller lagerte Wein. Das beeindruckende Renaissancegebäude hat durch den Stadtbrand von 1689 gelitten, wurde aber (nach mehreren zwischenzeitlichen Umbauten) 1960 wiederhergestellt und beherbergt nun Geschäfte, einen Antiquitätenladen, ein Café und mehrere Gaststätten. Die in Stein gemeißelte Inschrift mit dem Namen der weitblickenden Stifterin ist bis heute über dem Eingang zu lesen.

Einen großen Teil des Vermögens verwendete Apollonia Hirscher für wohltätige Zwecke. Der städtischen Armenverwaltung übergab sie regelmäßig große Summen. Diese aktive Zuwendung zu den Armen wurde durch die reformatorische Gesinnung in der Stadt gefördert. Die Historikerin Maja Philippi schreibt: „Apollonia stand dabei unter dem Einfluss der Reformation, deren Durchführung in Kronstadt sie miterlebte und durch die der Begriff der äußerlichen Frömmigkeit zu tätiger Nächstenliebe umgewertet wurde.“ Der Kronstädter Reformator Johannes Honterus (1498-1549) veröffentlichte in seiner Heimatstadt ein „Reformationsbüchlein“, aus dem er die „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ weiterentwickelte. Dieses „Reformationsbüchlein“ wurde von Martin Luther anderen Pfarrern ausdrücklich empfohlen und von Philipp Melanchthon 1543 in Wittenberg mit einer eigenen Vorrede versehen neu herausgegeben. Die Kirchenschriften des Reformators Honterus (lateinisch und deutsch verfasst) enthalten klare Bestimmungen über die christliche Lehre auf Grund der Bibel, über Taufe, Gottesdienste, Abendmahl, kirchliche Zeremonien, Berufung der Geistlichen, Schulen, Armenfürsorge, Waisenfürsorge, über die christliche Freiheit. Über die Armenpflege heißt es im Reformationsbüchlein: „Wenn wir die Wahrheit bekennen wollen, wäre es entsprechender, die Einkünfte unnütziger Bruderschaften und göttlicher Stiftungen … ebenso die Beträge der Zünfte, die für Mittagskerzen der Blinden nutzlos vergeudet werden, und was dergleichen mehr ist, zur Erhaltung der Armen zu verwenden.“

Apollonia Hirscher setzte diese Haltung ganz praktisch um und erbrachte unter anderem 1545 für die Städtische Armenverwaltung eine Stiftung von 200 Gulden. In den „Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt“ (3. Band, Kronstadt 1896, S. 306.) findet sich dazu folgendes Zitat: „also das man vor das geld von jahr zu jahr soll wein kaufen und den armen leuten soll leutgeben (ausschenken).“ Über Frauen erfährt man in der „Kirchenordnung“ wenig. Im Kapitel „Ehesachen“ wird die Frau quasi als Vertragsgegenstand behandelt. Im Kapitel „Vom Sakrament der Taufe“ jedoch wird Frauen eine besondere und wichtige Aufgabe zugebilligt: „Wo aber geschickte menner abgehen, mögen gut vnterrichte weiber oder amptsfrawen (Amtsfrau = Hebamme, Anm. d. Verf.) in solcher not die kind tauff reichen.“ (Johannes Honterus‘ ausgewählte Schriften, hrsg. v. Oskar Netoliczka, Wien u. Hermannstadt 1898, S. 75.)

Bildung und Schulwesen hatten in Kronstadt bereits im Mittelalter einen hohen Wert. Die bestehende Knabenschule wurde durch die Schulordnung von 1543 zu einem humanistischen Gymnasium umgestaltet und ebenda wurde eine bedeutende Bibliothek eingerichtet. Honterus verfasste Schulbücher und ließ sie selbst drucken (Druckerei 1539, eigene Papiermühle 1546). Viele Söhne der Stadt gingen zum Studium nach Wien, Krakau, Bologna und an andere Universitäten. Aufhorchen lässt die erste Erwähnung einer Mädchenschule in Kronstadt aus dem Jahr 1544. Ausgehend von der Handelstätigkeit Apollonias und dem hohen Stand des Schulwesens in ihrer Heimatstadt, darf angenommen werden, dass Apollonia das Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschte. Wie hätte sie sonst einem so großen Handelshaus vorstehen können? 1543 erschien in Kronstadt das erste evangelische – zugleich das älteste erhaltene deutsche – Gesangbuch Siebenbürgens. Ob Apollonia Hirscher daraus gesungen hat? Anzunehmen ist es.

Außer den Einnahmen aus dem Handelsgeschäft verfügte die Hirscherin auch über Immobilien. Sie hatte von ihrem Mann drei Häuser in bester Lage (am „Rossmarkt“) geerbt, dazu ein weiteres großes Haus, das 1541 mit 650 Gulden bewertet wurde – etwa das Doppelte des üblichen Wertes der Häuser reicher Bürger.

Die Kaufmannswitwe Apollonia liebte ihre Heimat und deren Bewohner. In Zeiten der Gefahr griff sie in die Politik ein und half zum Schutz der Stadt mit: Als der moldauische Fürst in Siebenbürgen einfiel, trug sie mit 100 Gulden und zwei Pferden zum Bestechungsgeschenk bei, damit Stadt und Dörfer verschont würden.

Reformatorische Impulse

Apollonia Hirscher hat durch ihre wirtschaftliche und sozial-politische Tätigkeit Ideale der Reformation ganz praktisch umgesetzt. Es ist ein Kennzeichen der siebenbürgischen Reformation, dass die Erneuerung der Gedanken sehr eng mit deren konkreten Umsetzung verknüpft war, das heißt, die Umgestaltung des kirchlichen Lebens ging einher mit der Wandlung des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere in den Bereichen Sozialhilfe (Diakonie), Bildungswesen und politisch-soziale Selbstorganisation. Apollonia Hirscher, die weitsichtige und durchsetzungsstarke Frau, war Mitstreterin der Reformation indem sie auch durch ihr Hab und Gut das Gemeinwohl unterstützte und sich für die Armenpflege einsetzte. Für nachfolgende Generationen wirkte sie als positives Beispiel weiter.

Kommentar

Die Hirscherin war, so kann schlussfolgert werden, eine Frau mit Herz und Verstand. Ihr Andenken ist in der Stadt lebendig geblieben und äußerte sich im Laufe der Jahrhunderte zu verschiedenen Anlässen auf unterschiedliche Weise, wie im Folgenden gezeigt wird.

Zur 300-Jahr-Feier des 1545 von Apollonia Hirscher erbauten Kronstädter Kaufhauses am 28. Oktober 1845 komponierte Johann Lukas Hedwig ein Lied zu Ehren Apollonias, dessen Text von Georg Thomas zwar in Vergessenheit geraten ist, dessen Melodie jedoch im beliebten, völkerverbindenden „Siebenbürgenlied“ auch zum heutigen Kulturgut zählt. („Siebenbürgen, Land des Segens“; Text von Leopold Maximilian Moltke, 1846).

1887 wurde im Zuge der Straßennamenreform der „Fischmarkt“ in „Hirschergasse“ umbenannt. An der Ecke dieser Gasse hin zum Marktplatz steht das Hirscher-Kaufhaus, deren Erbauerin Apollonia ist. (Harald Roth: Kronstadt in Siebenbürgen, Köln, Weimar, Wien 2010, S. 195). Es war erstmals und für längere Zeit einmalig, dass eine Straße nach einer Frau benannt wurde. In der Zeit der kommunistischen Diktatur wurde diese Straße 1945 in Rosa-Luxemburg-Str. und 1966 zu „Ciucaş“ (Berg Ciucaş/Krähenstein) umbenannt. Seit 1991 heißt sie offiziell Apollonia-Hirscher-Straße.

Für den Fest- und Prüfungssaal der Kronstädter Mädchenschule gab der Evangelische Frauenverein 1896 bei dem Kunstmaler Friedrich Mieß ein Gemälde in Auftrag, das Apollonia Hirscherin als würdige siebenbürgisch-sächsische Patrizierin darstellt. Das Bild ist 1944 verschollen (vgl. Klein, 129f., 140f.).

1908 malte Friedrich Mieß ein überlebensgroßes Apollonia-Bildnis für das Giebelmedaillon des neuen Gebäudes der (damaligen) Sächsischen Nationalbank. Dieses Jugenstilgebäude von Architekt Albert Schuller wurde anstelle des abgetragenen „Hirscherhauses“, das einst Apollonia Hirscher gehört hatte, errichtet. Das ganzfigurige Wandbild im Giebel wurde nach der Verstaatlichung (1948) mit Kalk übertüncht, aber 1972 von Dr. Gisela Richter restauriert. (vgl. Klein, S. 142) 2012 war das Bildnis sehr stark verwittert, 2013 wurde das Haus komplett eingerüstet, man darf auf die Wiederherstellung gespannt sein.

Im Lesebuch für Heimatkunde im 2. und 3. Schuljahr „Burzenländer Sagen und Ortsgeschichten“ (4. Auflage, Kronstadt 1933) ist unter 100 Lesestücken eines über Apollonia Hirscher. Der Lesebuchautor Friedrich Reimesch schreibt als Einleitung zu diesem Beitrag: „Als Johannes Honterus den evangelischen Glauben einführte, half ihm auch die tugendsame und gottesfürchtige Witwe Apollonia Hirscher recht eifrig.“ Außer der Armenfürsorge und dem Bau des Kaufhauses wird jedoch ausführlich die schaurige Legende der scheintoten Tochter erzählt, was vermutlich in der Erinnerung von Generationen kleiner Schulkinder eher haften blieb als die wirtschaftlichen und sozialen Leistungen der Hirscherin.

Das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt und die Heimatortsgemeinschaft Kronstadt verleihen gemeinsam seit 1999 jährlich den Apollonia-Hirscher-Preis an engagierte, in Kronstadt lebende Persönlichkeiten, die sich in beispielhafter Weise für die Belange der Gemeinschaft eingesetzt haben. Drei Viertel der bisher Ausgezeichneten sind Frauen. Der Entwurf zur Preisplakette stammt von der Künstlerin Roswitha Winkler, gebrannt wird jedes Jahr eine neue Plakette in der Werkstatt der Keramikerin Agnés Ferencz.

So bleibt auch Apollonia Hirscher in der Gegenwart lebendig in Erinnerung.

Zum Weiterlesen

K. Klein: Siebenbürgische Bildnisse der Reformationszeit, in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 21 (1998), 129f. u. 140f.

M. Philippi: Kronstadt. Historische Betrachtungen über eine Stadt in Siebenbürgen. Aufsätze und Vorträge, Bukarest/Heidelberg 1996.