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Barbara Hellwart

Barbara Hellwart in Ketten. Vom obrigkeitlichen Umgang mit einer „widerspenstigen“ Täuferin

Ein Beitrag von Marion Kobelt-Groch

Barbara Hellwart

Lebensdaten:

um 1573 - nach 1621


Beziehungen

Sie ist keine exponierte Täuferin, die durch Schriftzeugnisse, spektakuläre Auftritte oder Heirat eines Täuferführers in die Geschichte eingegangen ist. Barbara Hellwart gehört zu den unbekannten Gestalten der Täufergeschichte. Als Individuum ist sie Bestandteil jener schwer zu definierenden Menge von Anhängern und Anhängerinnen, die den täuferischen Bewegungen Fleisch und Leben verliehen und sie auf eigene Art prägten. Hätte es eine Vielzahl überzeugter Männer und Frauen wie Barbara Hellwart nicht gegeben, wären die Glaubensvorstellungen und sozialen Ideen täuferischer Führergestalten nie weitergetragen worden. Täufertum wird nicht allein im theologischen Gedankengut einiger weniger fassbar, sondern auch in all jenen Gestalten beiderlei Geschlechts, die das täuferische Anliegen aufgriffen, es ihrem Verständnis nach neu formten, verteidigten und nicht selten bereit waren, für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen, was in diesem Falle allerdings nicht geschah. Niemand trachtete Barbara Hellwart aus Glaubensgründen nach dem Leben. Wir wissen nicht viel über diese Frau, über einige Jahre taucht sie immer wieder in den Quellen auf, zuletzt in einem Synodalprotokoll aus dem Jahr 1621. Geradezu ergreifend bittet sie darum, bei ihrem täuferischen Glauben bleiben zu dürfen, und deutet zugleich an, dass sie wohl nicht mehr lange leben werde. Barbara Hellwart war verheiratet. Aber anders als sie verstand es ihr Mann, Georg Hellwart, die Obrigkeit über seine möglichen täuferischen Ambitionen im Unklaren zu lassen. Während sie sich beharrlich zu den Täufern bekannte, scheint er den Eindruck der Rechtgläubigkeit erweckt zu haben, obwohl sie angeblich beide 1608 Täufer „aufgehalten und untergeschlauft“  hatten (Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer. Bd. I: Herzogtum Württemberg, S. 800). Vielleicht war er nur geschickter im Umgang mit der Obrigkeit, während sie sich für den geradlinigen Weg entschieden hatte und sich entschlossen zum täuferischen Glauben bekannte. Wie es um mögliche Kinder und ihre Gesinnung bestellt war, verraten die Quellen nicht. Letztlich waren Bindungen dieser Art auch nicht entscheidend, da überzeugte Täufer und Täuferinnen ihre vermeintlich ungläubige Familie notfalls rigoros verließen, um ein neues, gottgefälliges Leben im Kreise gleichgesinnter Brüder und Schwestern zu leben, die die Familie ersetzten. Wichtig waren also die täuferischen Kontakte, das intime Miteinander mit Gleichgesinnten. Die gab es in Beutelsbach durchaus, und zwar bereits seit einigen Jahrzehnten. Ins Gerede war das Dorf  schon 1555 geraten, als ein gewisser Stoffel Schuhmacher aus Beutelsbach als Wiedertäufer ins Gefängnis wanderte. Er widerrief zwar und sagte sich von den Täufern los, aber letztlich wohl nur vorübergehend oder zum Schein, denn im März 1562  taucht er erneut als Problemfall in den Akten auf. Da er die Predigt nicht besucht habe und täuferischer Gesinnung sei, wanderte er 1561 erneut ins Gefängnis. Mit bestem Fleiß hätten die Theologen versucht, diesen einfältigen schlichten Menschen, der eine Frau und fünf Kinder zu versorgen hatte, auf den rechten Glaubensweg zu bringen, was offensichtlich nicht gelang, denn 1563 bitten seine Frau und Verwandte darum, ihn und seine Ehefrau nebst Kindern nach Österreich ziehen zu lassen. Stoffel Schuhmacher war nicht der einzige Täufer im kleinen Beutelsbach, auch Claus Frey  und eine gewisse Lucia, Thomas Müllers Witwe, wurden aktenkundig, um nur einige zu nennen. Für besondere Unruhe sorgte Bastian Weber aus Gmünd, der als „Vorsteher“ eingestuft wurde. Er gehörte nicht zur ersten Garde der Täuferführer, aber das war nicht einmal entscheidend. Wichtig war der Kontakt zu den Menschen, denen es darum ging, im Glauben jene Wärme und Gewissheit zu finden, die ihnen die etablierten Kirchen nicht zu geben verstanden. 

Wirkungsbereich

Barbara Hellwart gehörte zu einem jener begrenzten dörflichen Täuferkreise, wie es sie nicht nur in Württemberg, sondern überall gab. Beutelsbach war ein „Nest“ von vielen, unbedeutend und dennoch gefährlich, weil seine täuferisch gesonnenen Einwohner sich nicht auf den rechten Glaubensweg bringen ließen und allen Bekehrungsversuchen  trotzten. Aus obrigkeitlicher Perspektive war Barbara Hellwart ein halsstarriges, verstocktes und verschlagenes „sectirisch weib“ (Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer: Herzogtum Württemberg, S. 828), das durchaus als gefährlich einzustufen war. Nicht der täuferische Glaube allein bereitete Sorgen, sondern vor allem der Drang, ihn weiterzugeben. Andere zu verführen, sie vom vermeintlich rechten Glaubensweg  abzubringen, darin bestand die eigentliche Bedrohung. Auch Barbara Hellwart stand unter dem Verdacht, die täuferische Werbetrommel zu rühren. Was tun? Die Todesstrafe an Täufern und Täuferinnen zu vollziehen, war in Württemberg nicht üblich. Natürlich wäre es möglich gewesen, Barbara Hellwart wie andere Glaubensschwestern, ins „Narrenhäuslein“ oder ins Frauengefängnis zu stecken. Dies war beispielsweise Katharina Mergentaler aus Fellbach widerfahren, die im Juni 1621 eingesperrt worden war, sehr zum Leidwesen von Mann und Kindern, die wenige Tage später um ihre Freilassung baten. Man könne die Frau und Mutter im Hause nicht entbehren. Kurz, eine eingesperrte Täuferin bereitete genauso wie ein inhaftierter Ehemann oder Familienvater große Probleme, da sie existentielle Schwierigkeiten  heraufbeschworen, wenn eine unentbehrliche Arbeitskraft fehlte. Diese Einsicht führte in Württemberg zu einer völlig neuen Strategie im Kampf gegen das täuferische Unwesen. Seit 1571 wurden widerspenstige Täufer angekettet (Gustav Bossert, Gerhard Hein, Württemberg, S. 571), wobei die edierten Quellen diese Strafe lediglich für Täuferinnen ausweisen. Sie traf auch Margarete Hellwart, die nach ersten Drohungen 1611 in ihrem Haus an die Kette gelegt wurde. Mit dieser Strafe sollten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Zunächst einmal schien die Kette zu garantieren, dass es keine gravierenden Probleme bei der Haushaltung gab. Die Frau war in ihren Aktivitäten vielleicht eingeschränkt, aber nach wie vor präsent und arbeitsfähig. Darüber hinaus versprach die gewaltsame Bindung ans Haus zu verhindern, dass die betreffende Frau zu Täuferversammlungen ging oder außer Haus werbend tätig war. Rein theoretisch eine wunderbare Lösung für Probleme täuferischer Provenienz, die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. Obwohl Barbara Hellwart mit Ketten und Schlössern bestens versehen sei, mache sie sich allzeit ledig und gehe ohne Scheu ins Feld und wohin sie wolle. Nun ist nicht davon auszugehen, dass die Ketten zu schwach und untauglich waren. Vielmehr scheint es ein Einvernehmen zwischen der täuferischen Ehefrau und ihrem Mann gegeben zu haben, der ihr dabei half, sich von der Kette zu befreien. Zumindest scheint er nichts gegen seine Frau unternommen zu haben, was wiederum darauf schließen lässt, dass er dem täuferischen Glauben nicht gänzlich abhold war oder zumindest ihm gegenüber eine tolerante Haltung einnahm. Die Kette löste keine Probleme, sondern schuf neue. Sie zeigte die obrigkeitliche Ohnmacht gegenüber halsstarrigen „Weibern“, die keine Anstalten machten, sich eines Besseren zu besinnen. Unbeirrt scheint Barbara Hellwart an ihrem täuferischen Glauben festgehalten und auch ihr Bekehrungswerk fortgesetzt zu haben. 1613 heißt es, dass man sie zwar vorgeladen, aber nichts habe ausrichten können. Befürchtet wurde vielmehr, dass diese verstockte Wiedertäuferin ihr Gift auch in andere Frauen stecken könnte. Zwei Jahre später scheint sich dann allmählich Resignation breitgemacht zu haben: Da sie nicht zu gewinnen sei, müsse man es Gott befehlen. Nun gab es zwar durchaus Bemühungen, Barbara Hellwart durch stärkere Ketten doch noch zu zähmen, genützt hat es wohl nichts. Immer wieder befreite sie sich. Möglicherweise war Georg Hellwarts Frau sogar eine wichtige Gestalt bei der Verbreitung täuferischen Gedankenguts, da sie nicht nur Märkte und benachbarte Orte besuchte, sondern sich auch in Häuser begab, um dort Frauen im täuferischen Sinne zu beeinflussen. Ihr missionarisches Wirken ging sogar so weit, dass Frauen aus anderen Dörfern sie besuchen kamen. So wird über Katharina Koch aus Schnaith berichtet, dass sie zu der verstockten Täuferin gen Beutelsbach zu gehen pflege. Barbara Hellwart war nicht die einzige in Ketten liegende Täuferin, die die Obrigkeit zur Verzweiflung brachte. Einerseits waren die betreffenden Frauen nicht bereit, von ihrem Glauben abzustehen, andererseits machten sie sich von der Kette ledig und demonstrierten auf diese Weise, dass die verhängte Strafe ziemlich wirkungslos war. Während Barbara Hellwart ihre Befreiung von der Kette gar als Wunder pries, so als sei sie wie Petrus mittels himmlischer Kräfte ihrer Kette entledigt worden (Apg 12,7.8.), zog Anna Leins einen weniger spektakulären Auftritt vor. Sie stellte sich bei obrigkeitlichem Besuch auf die Kette und gab vor, noch an ihr zu liegen, während sie sich in Wirklichkeit längst aller Fesseln entledigt hatte. Anders als geplant, riefen derartige Ankettungen nicht nur bei den betreffenden Frauen Widerstand hervor, sondern auch bei manchem Ehemann. So gab Hans Metzmann zu verstehen, dass er, seit seine Frau in Ketten liege, nicht mehr zum Abendmahl gegangen sei. Und das war immerhin seit sechs oder sieben Jahren der Fall. Wenn Ehemänner sich aus Solidarität mit ihren angeketteten Frauen der „sakralen“ Gemeinschaft verweigerten, so konnte dies noch ganz andere Züge annehmen. Bartlin Rubin zog sogar eine Auswanderung nach Mähren in Erwägung, sollte die Kette zum Einsatz kommen. Er befürchtete, dass seine Haushaltung mit acht Kindern übel versehen seien würde, wenn die Ehefrau und Mutter an der Kette liege. Seine Aussage lässt darauf schließen, dass eine Strafmaßnahme dieser Art letztlich nicht nur äußerst hinderlich war, weil sie viele Arbeiten im Haus nicht zuließ, sondern auch kontraproduktiv, weil sie unentschlossene oder nichttäuferische Ehemänner in die falsche Richtung drängte. Zu allem entschlossen, scheint Hans Koch das Kettenschloss mit der Axt aufgeschlagen zu haben. Wenn der Schultheiß kam, um die Ehefrau zu inspizieren, habe sie auf der Kette gestanden und mit ihr gerasselt, als ob alles in bester Ordnung sei. Ob Barbara Hellwart, Anna Leins oder irgendeine andere Frau in Ketten, keine von ihnen dürfte durch diese Strafmaßnahme bekehrt worden sein. Im Gegenteil, sie setzten alles daran, sich ihrer lästigen Ketten heimlich zu entledigen, um ihren täuferischen Glauben auch weiterhin verbreiten zu können. 

Reformatorische Impulse

Die Kette als Strafmaßnahme sollte Täuferinnen zur Raison bringen, sie läutern und vor allem davon abhalten, ihren vermeintlichen Irrglauben an andere weiterzugeben. Gebracht hat es nichts oder wenig. Die betreffenden Frauen scheinen an ihrem als recht erkannten Glaubensweg unbeirrt festgehalten zu haben. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass ihr Glaube auf einer persönlichen Entscheidung und Beziehung zu Gott basierte, die sie weder durch einen Ehemann noch durch obrigkeitliche Gewalt gestört und zerstört sehen wollten.  Letztlich konnte keine männliche Autorität sie von ihrem Weg abbringen oder dazu bewegen, sich zu beugen. Diese angeketteten Frauen sind ein Beispiel für Glaubenstreue, persönliche Unabhängigkeit und Stärke, was in der Zeit des 16. Jahrhunderts keineswegs  selbstverständlich gewesen sein dürfte. Und noch etwas ist bemerkenswert. Fälle dieser Art gewähren Einblicke in die Verbreitung täuferischen Gedankenguts auf unterster Ebene. Diese Frauen betätigten sich als Lehrerinnen, die vor allem Geschlechtsgenossinnen für ihre Glaubensüberzeugung zu gewinnen trachteten. Dass dabei Glaubensinhalte vermittelt wurden, die einem individuellen Verständnis entsprungen und von den theologischen Einsichten bzw. Lehrmeinungen tonangebender Täuferführer weit entfernt waren, liegt nahe. Die verfolgten Täufer bedurften der Frauen, die durch ihre Entschlossenheit und ihr Engagement, die täuferischen Bewegungen mitgestalteten und am Leben erhielten. 

Kommentar

Diese unbekannten Täuferinnen faszinieren vor allem durch ihre persönliche, vom Ehemann nicht unbedingt geteilte Hinwendung zu einer verfolgten Glaubensgemeinschaft, die sich in unterschiedlichen Bewegungen manifestierte. Mag es auch problematisch sein, an den angeketteten Frauen emanzipatorische Züge entdecken zu wollen, so zeigt ihre unbeugsame Entschlusskraft dennoch, dass das Paulinische Schweigegebot (1. Kor 14) für sie keine Verbindlichkeit hatte. Diese angeketteten Frauen ließen sich nicht den Mund und erst recht nicht ihren Glauben verbieten. 

Zum Weiterlesen

G. Bossert: Württemberg, in: Mennonitisches Lexikon. Vierter Band, Karlsruhe 1967, S. 568-573.

C.-P. Clasen: Die Wiedertäufer im Herzogtum Württemberg und in benachbarten Herrschaften. Ausbreitung, Geisteswelt und Soziologie, Stuttgart 1965.

H.-J. Goertz: Die „gemeinen“ Täufer: einfache Brüder und selbstbewusste Schwestern, in: ders.: Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 2007, S. 363-376.

H.-J. Goertz: Die Täufer. Geschichte und Deutung, 2. Aufl., München 1988.

G. Haude: Gender Roles and Perspectives Among Anabaptist and Spiritualist Groups, in: John D. Roth and James M. Stayer (Hg.): A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521-1700, Leiden/Boston 2007, S. 425-465.

M. Kobelt-Groch: Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen, Frankfurt/New York 1993.

M. Kobelt-Groch: Frauen in Ketten. „Von widertauferischen weibern, wie gegen selbigen zu handlen.“, in: Mennonitische Geschichtsblätter 47/48 (1990/91), S. 49-70.

M. Mattern: Leben im Abseits. Frauen und Männer im Täufertum (1525-1550). Eine Studie zur Alltagsgeschichte, Frankfurt am Main 1998.

Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer. Bd. I: Herzogtum Württemberg, hg. von Gustav Bossert, Leipzig 1930.

P. Räisänen: Ketzer im Dorf. Visitationsverfahren, Täuferbekämpfung und lokale Handlungsmuster im frühneuzeitlichen Württemberg, Konstanz 2011.