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Margarethe zur Lippe, Äbtissin von Stift Herford

„Am 17.Januar 1565 ist sie zur Äbtissin gewählt worden. An diesem Tage ist ungeheuer viel Schnee gefallen und der Wind wehte heftig und ungestüm …..“

Ein Beitrag von Heidemarie Wünsch

Margarethe zur Lippe, Äbtissin von Stift Herford Copyright: Siegel von Margarethe zur Lippe; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, Urkunde der Fürstabtei Herford Nr. 1493

Lebensdaten:

1525 - 1578


Beziehungen

Margarethe (auch Margarete oder Margaretha) zur Lippe ist in jeder Beziehung ein „Kind der Reformation“. Ihre Mutter Magdalena war eine Gräfin Mansfeld (*1500), also aufgewachsen in Mansfeld und aus einer Familie, die sich schon früh der Lehre Luthers anschloss. Ihr Vater Gebhard und sein Bruder Albrecht standen Luther sehr nahe. Als Jugendliche und junge Erwachsene wird Margarethes Mutter Martin Luther erlebt und von dessen Wirksamkeit etwas mitbekommen haben.

Margarethes Vater war Graf Simon V zur Lippe (1471-1536). Die Grafschaft Lippe ist ein kleines, aber altes und bedeutendes Grafengeschlecht. Diese Bedeutung geht zurück in sächsische Zeit – Hermann I starb 1167 in der Gefolgschaft Friedrich Barbarossas vor Rom; sein Nachfolger Bernhard II, der als Gründer der Grafschaft gilt, stand auf Seiten Heinrichs des Löwen –. Simons V erste Ehe war kinderlos geblieben, und diese Tatsache hatte zu allerlei Unruhen in der Grafschaft geführt. Nach dem Tod der ersten Frau im Jahre 1522, war der Weg zu einer neuen Ehe frei, und die Wahl fiel auf Magdalena von Mansfeld. Der umfangreiche Ehevertrag zwischen Gebhard von Mansfeld und Simon, die bereits anderweitig durch geschäftliche Verträge verbunden waren, ist im Original erhalten. Die gemeinsame Ehezeit der Eltern war geprägt vom Eindringen protestantischer Strömungen in Lippe. Simon V, der Zeit seines Lebens ein überzeugter Katholik blieb, widersetzte sich dem. Aber mehrfach wurde seine Frau von der evangelischen Seite um Vermittlung gebeten, und sie konnte ihren Mann umstimmen (Schröer: 652). 1537, ein Jahr nach Simons Tod, wurde in Lippe die Reformation eingeführt.

Der Ehe entstammen sechs Kinder, zwei Söhne und vier Töchter. Mit Blick auf sein Alter hatte Simon für Vormünder für seine Kinder gesorgt, je einen Altgläubigen und einen protestantisch Gesinnten. Margarethe, die Älteste war 11 Jahre alt, der Erbe Bernhard 9 Jahre. Bernhard wurde mit Einwilligung der Mutter und Vormünder am Hof des Landgrafen Phillip von Hessen einem erklärten Förderer der Reformation erzogen. Die anderen Kinder zogen mit ihrer Mutter auf den Witwensitz Schloss Brake.

Dieser Weg der Kinder bezeugt eine bewusste Vorsorge und passt zur damaligen Erziehungspraxis. Insbesondere für die Erziehung der Mädchen „zur christadligen Jungfrau“ war die Mutter verantwortlich (Hufschmidt: 59ff). Es wurden die Grundlagen des Glaubens sowie Schreiben, Lesen und Rechnen gelehrt. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1540 kam auch Margarethe an den Hof Philipps, ihre Schwestern nach Mansfeld. Der Mansfelder Großvater wollte Margarethe im Jahr 1548 verheiraten und verlangte Brautschatz und die offensichtlich übliche „Fräuleinsteuer“ von Lippe. Aber das wurde von den Landständen abgelehnt. Stattdessen trat Margarethe in das Kanonissenstift Herford ein, wie vor und nach ihr viele andere Töchter aus dem Hause Lippe. Ein solcher jugendlicher Eintritt in ein Stift wird von Anke Hufschmidt auch als das weibliche Pendant für eine Kavaliersreise angesehen, eine „Blickwinkelerweiterung“ über das Elternhaus hinaus (Hufschmidt: 67f).

Wann genau Margarethes Eintritt erfolgte, ist nicht bekannt. Sie war bereits Koadjutorin ihrer Vorgängerin Anna von Limburg gewesen, als sie 1565, im Alter von 40 Jahren zur Äbtissin von Herford gewählt wurde. Herford war traditionell das Stift, in dem die lippischen Grafentöchter Kanonissen wurden. Die bedeutende Äbtissin Gertrud zur Lippe (ca.1217-1238), Tochter des og. Bernhard II. erbaute die bis heute erhaltene Stiftskirche.

 

(zum Bild: Steinbildnis der Äbtissin Gertrud II zur Lippe im Herforder Münster; Copyright: Ev.-Luth. Kirchengemeinde Herford-Mitte)

Margarethes Nachnachfolgerin wurde 1578 ihre jüngere Schwester Magdalena (1586-1604) und später als Magdalena II ihre Nichte (1621-1640). Unter „Gegenäbtissinnen“ späterer Zeit findet sich eine Witwe zur Lippe und eine weitere Verwandte. Für eine enge Verbindung zwischen dem Stift und lippischen Grafen spricht auch eine relativ umfangreiche Korrespondenz. Auch war es der aus Lippe stammende Erzbischof Simon III von Paderborn, der die Exemption des Stiftes Herford 1472 in einer Urkunde bestätigte. Zur Bezahlung der zugehörigen Urkunde tätigte die Kanonisse Elisabeth zur Lippe zusammen mit Äbtissin und Kanonikern den Verkauf einer Rente (Fürstenberg: 93). Die Urkunde wurde 1498 vom Papst bestätigt.

Wirkungsbereich

Das Stift Herford ist also mindestens seit 1565 Margarethes Wirkungsbereich; es ist eines der ältesten und mächtigsten im Reich gewesen und wird als ebenbürtig oder sogar bedeutsamer als Corvey angesehen. Der Edelmann Waltger gründete es bereits 789 (4 Jahre nach Widukinds Taufe) und schuf Platz für 14 Töchter aus sächsischem Adel. Im Jahr der Gründung Corveys, 822, gab er es Ludwig dem Frommen zum Geschenk. Der stattete es großzügig mit Gütern aus. Herford lag im Zentrum seines Machtgebietes und der folgenden sächsischen Könige. Die spätere Frau Heinrich II., Mathilde, wurde von ihrer gleichnamigen Großmutter, Äbtissin von Herford, dort erzogen. Mathilde gründete später Quedlinburg. Auch die erste Äbtissin Gandersheims, Hathumod war in Herford erzogen worden. Diese beiden Stifte liefen Herford den Rang ab, als sich der Reichmittelpunkt unter den Ottonen nach Osten verlagerte.

Nach Meinung Fürstenbergs war Herford von Anfang an Kanonissenstift. Kanonissen trugen nur zu Gottesdiensten den Schleier und einen Chormantel, sonst war einfache Kleidung angesagt oder empfohlen. Es gab eine gewisse „Vita communis“ (Gemeinsames Leben), das aber erschwert wurde dadurch, dass den Kanonissen das Verlassen des Stiftbereichs erlaubt war. Die Kanonissen hatten eigene Zimmer oder später Wohnungen. Für die Feier der Messen waren wochenweise vier - nicht adlige - Kanoniker zuständig. Zusammen mit ihnen bildeten die Kanonissen das Kapitel und übten auch seelsorgliche Funktionen aus. Ein entscheidender Unterschied zum Kloster war natürlich, dass die Stiftsdamen wieder austreten und heiraten konnten und dann auch den eingebrachten Besitz wieder ausgehändigt bekamen.

Um die Münsterkirche herum wuchs die Stadt Herford, die selbstverständlich der Äbtissin unterstand. Mindestens 1198 hatte sie Münzrecht. Bereits 1011 wurde das niederadlige Stift St. Marien auf dem Berge gegründet; bis zum 15 Jahrhundert sieben weitere Klöster, inklusive Beginen und Johanniter.

Stift Herford war vermutlich von Anfang „exempt“, reichsunmittelbar. In weltlichen Dingen unterstand es damit direkt dem Kaiser. In einem erhaltenen Verzeichnis wird 1521 die Äbtissin von Herford neben der von Essen als Mitglied des Reichstages geführt. Sie war also Reichfürstin und hatte einen quasi-fürstbischöflichen Status. Denn in geistlichen Dingen unterstand das Stift direkt dem Papst. Die Äbtissin berief die Kanoniker, hatte Besetzungsrecht für die Pfarrstellen der Stadt und der Patronatskirchen und war in jeder Hinsicht weisungsbefugt. Nur die Priesterweihe konnte sie nicht erteilen und keine Messen feiern, wobei es umstritten ist, ob sie währenddessen die Stola trug.

Das bedeutete eine große Machtfülle für die Äbtissin noch bis in die Zeit Margarethes, um die aber im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gekämpft werden musste. Insbesondere die Bischöfe von Paderborn, die als Vertreter des Papstes in geistlichen Angelegenheiten fungierten, versuchten immer wieder, diese Unabhängigkeit in Frage zu stellen und Einfluss zu gewinnen, in kleinerem Maß auch die anderen Bischöfe, auf deren Territorium das Stift Güter und Patronatsrechte für Kirchen besaß. Und auch weltliche Herrscher versuchten Einfluss zu gewinnen, über das Amt des Vogtes, der die Rechte des Stiftes in rechtlichen Dingen nach außen vertrat. Aber von Seiten des Kaisers und Papstes wurde den Stiftsdamen ihre Stellung nach solchen Konflikten immer wieder bestätigt. Besonders wichtig ist die schon genannte Bestätigung durch Bischof Simon III im Jahre 1472. „Paderborn erkannte nunmehr an, daß das Stift Herford, das Stift St. Johannes und Dionysius, das Stift auf dem Berge, das Fraterhaus das Süsternhaus und alle Kirchen und Kapellen Herfords samt ihrem Klerus exempt von aller Beeinträchtigung durch andere Ordinarien seien“ (Fürstenberg: 91). Das Zeremoniell für die Einführung einer Äbtissin macht diesen Status und die Machtfülle sehr deutlich. Sie wurde auf Lebenszeit gewählt; das Wahlrecht hatte von Anfang an das Kapitel. (s.u.)

Bereits vor Margarethes Inthronisation zu Zeiten ihrer Vorgängerin Anna von Limburg gab es Einfluss und Auseinandersetzung mit Luthers Lehre und Anhängerschaft und brieflichen Kontakt mit Luther selbst, was Margarethe als Koadjutorin aus allernächster Nähe mitbekam und sicher ihre eigene Meinung dazu hatte. Es begann mit einzelnen Mönchen. Ein Augustinermönch aus Herford wurde von seinen Oberen nach Wittenberg geschickt. 1523 kam er als Anhänger Luthers zurück und verbreitete die neue Lehre in Herford. Als im Jahre 1525 zwei Mitglieder des Fraterhauses von Herford, die bekanntermaßen Anhänger Luthers waren, bei einem Besuch in Paderborn festgenommen und verurteilt wurden, protestierte die Äbtissin wegen des Einbruchs in ihr Recht, obwohl sie selbst keine lutherischen Tendenzen hatte. Der eigentliche Reformator Herfords war wiederum ein Augustiner, Johannes Dreier, der 1530 das Ordensgewand ablegte, das Kloster auflöste und den Kirchenschatz in die städtische Verwaltung für wohltätige Zwecke überführen wollte. Die Äbtissin verweigerte ihm, Gottesdienst in Stifts- und Pfarrkirchen zu halten, weshalb er seine Gottesdienste weiterhin in der Augustinerklosterkirche hielt. Jedoch gab es schon so viele Anhänger in der Stadt Herford, dass die Äbtissin sich genötigt sah, die Genehmigung zu erteilen, einzelne reformatorische Lieder in den Kirchen zu singen. 1532 war die Stadt praktisch protestantisch; es kam zu einem Aufstand gegen die Äbtissin. Der Rat öffnete das Münster gewaltsam für den protestantischen Kult; das Fraterhaus sollte gegen den Willen der Brüder eine Schule werden. In diesem Streit wurde vom Rat wie von den Fratres und auch von der Äbtissin selbst Luther um Rat und Vermittlung gebeten. Der schrieb 1532, dass die Fratres kirchlich nicht Untertanen der Stadt seien und dass die Stadt „nicht in fremde Obrigkeit greifen solle“, womit die kirchliche Obrigkeit der Äbtissin gemeint ist. Luther verteidigte Fratres und „Süstern“ , da sie „doch alle des Papstes Greuel abgetan und christlicher Freiheit, wiewohl im alten Kleid und Gestalt, sich halten und ein ordentlich, züchtlich Leben führen.“ (nach Fürstenberg: 102f) Der Äbtissin spricht er in hochachtungsvollem Stil ihr Recht zu, empfiehlt ihr aber, versöhnlich zu handeln. Die Stadt wollte deutlich die kirchliche Jurisdiktion durch ihr eigenes protestantisches Kirchenregiment ersetzen. Das veranlasste Anna 1547 ihre Landesherrlichkeit an den Herzog von Jülich in seiner Funktion als Graf von Ravensberg abzugeben und ihn zugleich als Erbvogt und Schirmherr anzuerkennen. Dadurch war Herford weitgehend an den Herzog von Jülich gebunden; trotz anderslautender Garantien versuchte er ab 1555 Einfluss auf die Besetzung von Pfarrstellen und Pfründen zu nehmen.

Das war die Situation als Margarethe zur Lippe Äbtissin wurde – aber in alles eben Geschilderte war sie als Koadjutorin in unterschiedlicher Weise bereits einbezogen. In den Akten des Fraterhauses ist vermerkt, dass am Wahltag, dem 27. Januar 1565, viel Schnee fiel und ein gewaltiger Wind ihn verwehte und dass die ehrbare Margarethe, Schwester des Grafen Bernhard zur Lippe von graziler und vornehmer Gestalt war (Robert Stupperich, Das Fraterhaus zu Herford, Teil II, S.40). Von der Wahl und Inthronisation Margarethes gibt es eine umfassende Dokumentation in den Akten des Stiftes Herford (Fürstabtei Herford, Landesarchiv Münster - Akten, Nr.1201: Protokoll der Feierlichkeiten bei der Wahl der Äbtissin Margarete Gräfin zur Lippe 1565), die aber in einem schlechten Zustand und schwer lesbar ist. Deshalb halte ich mich im Folgenden an die Darstellung Fürstenbergs der Inthronisation von zwei anderen Äbtissinnen (Bonizeth von Limburg Styrum (1494) bzw. Felicitas I von Eberstein (1578) nach Fürstenberg: 130ff.) Der Wahltermin wurde durch die Dechantin bekanntgegeben. Sie fand in der Privatkapelle der Äbtissin statt, nachdem vorher im Hochchor des Münsters eine Messe gelesen worden war. Da es in dem Fall nach Vor-Absprachen zwei Kandidatinnen gegeben hatte, wurde ein Kanoniker beauftragt, zu entscheiden. Nach dessen Votum nahm die gewählte Äbtissin die Wahl an. Ein beauftragter Notar teilte im Münster der Öffentlichkeit die Wahl mit. Unter den Klängen des „Tedeum“ mit Orgelbegleitung wurde dann die Äbtissin von den Kanonikern auf den Altar gehoben, der als Thron galt. Diese „Altarsetzung“ der Äbtissin war sozusagen die Inthronisation und bedeutete die symbolische Übernahme kirchlicher Jurisdiktion.

Erst danach wurde die Wahl dem Erzbischof von Köln - seit 1281 zuständig- mitgeteilt, der die Wahl im Namen des Papstes bestätigte. Daraufhin konnte die feierliche Inthronisation stattfinden: Eine lange Prozession von Würdenträgern zog durch das Turmportal des Münsters ein und geleitete die Äbtissin zum Äbtissinnensitz in der Mitte des Chorraumes. Nach dem Verlesen der erzbischöflichen Bestätigung legte die Äbtissin ihren Schwur auf das Evangelium ab und versprach dem Papst die Treue und das Stift zu schützen. Danach wurde sie in den Lehnssaal des Abteigebäudes geführt zum Zeichen ihrer weltlichen Macht, nahm dann wieder auf dem Äbtissinnensitz Platz und versprach, die Güter der Abtei zu erhalten und die Rechte von Vasallen, Kapitel und Stadt anzuerkennen. Am nächsten Tag folgten die Treuebekenntnisse ihr gegenüber.

Margarethe wurde noch wie üblich als katholische Äbtissin gewählt, bestätigt und inthronisiert. Aber mit ihr kam eine von Grund auf protestantisch gesinnte Äbtissin an die Macht. Bereits in den frühen Kinderjahren wurde sie von ihrer Mutter vermutlich in dieser Hinsicht geprägt, ganz sicher aber dann am Hofe des Landgrafen Philipp von Hessen (s.o.). Im Stift und den einzelnen Klöstern und in der Stadt fand sie vermutlich fast ausschließlich Gleichgesinnte. Herford wurde durch sie in ein evangelisches Stift umgewandelt. Auch das Fraterhaus, das nach dem Streit zu einem Hort der alten Lehre geworden war, wurde evangelisch. Als der letzte katholische Frater unter ihrem Druck nach Münster floh, nahm er das Geld des Fraterhauses mit. Margarethe beauftragte drei Räte, ihn zu verfolgen und zu verhaften. Darunter war Wilhelm Borcke einer der beiden Fratres, die sie schon selbst eingesetzt hatte. Doch Margarethe, die sich auch als evangelische Fürstäbtissin ganz in alter Tradition stehend fühlte, musste ihre Rechte wie ihre Vorgängerinnen verteidigen, nun allerdings nicht mehr gegen Einflussnahme des Bischofs von Paderborn sondern gegen die Grafen von Ravensberg bzw. gegen Jülich. Auch versuchte die Stadt wie bei ihrer Vorgängerin, dem Stift mehr Rechte abzuverlangen. Bereits 1566 beschwert sie sich deswegen beim Herzog von Jülich. In diesem Streit – wie auch in einzelnen anderen Fällen - bat sie ihren Bruder Graf Herrmann Simon zur Lippe um die Verhandlung, mit genauer eigener Instruktion. 1570 schloss sie schließlich eine Vereinbarung mit der Stadt ab, die besagte, dass sie die weltliche Gerichtsbarkeit auf der Freiheit -wie das Stiftgebiet in der Stadt nun oft genannt wurde- und den freien Höfen der Stadt behielt, alle anderen sollten dem Stadtrecht unterstehen. Bei Streit um Grundbesitz behielt die Äbtissin die Gerichtsbarkeit, wenn es sich um kirchlichen Grundbesitz handelte. In dem Zusammenhang stellte Kaiser Maximilian II 1570 zweimal einen Schutzbrief für das Stift Herford aus.

Die Akten und Urkunden zur Fürstabtei Herford im Landesarchiv Münster (Findbuch A 230 I und 230 II – für Informationen danke ich dem Leiter Dr. Thomas Reich und Frau Dr. Kathrin Baas sehr herzlich, ebenso Dr. Jens Murken, dem Leiter des Archivs der Evangelischen Kirche von Westfalen und Christoph Laue, dem Leiter des Stadtarchiv der Hansestadt Herford) geben ein breites Bild vom administrativen Aufgabenfeld der Äbtissin. Die Urkunden betreffen überwiegend die Ländereien des Stifts, es geht um Verpfändung oder Verpachtung. In einem Fall stimmt Margarethe zu, dass Brachland zu Gartenland umgewandelt werden kann. Sie gibt Baugenehmigungen, fordert Abgaben ein und schlichtet Streit. Zum Patronatsrecht, auch außerhalb Herfords, gibt es drei Urkunden: Nach Verzicht der amtierenden Pfarrer setzt sie neue Pfarrer in Wettringen (1566) und Bünde (1572) ein; in Hiddenhausen (1566) nach dem Tod des Pfarrers.

Ein Problem ihrer ersten Zeit waren „Münzunordnungen“ . Die Münzprägung in Herford war nach langer Pause erst unter ihrer Vorgängerin wieder aufgenommen und von ihr weitergeführt worden. Aber offensichtlich stimmte der Silbergehalt nicht mit der Münzordnung von 1559 überein. Die Äbtissin erhielt eine entsprechende Rüge des Kaisers, und 1567 wurde ihr das Münzrecht entzogen. Eine bemerkenswerte Hohlmünze ihrer Prägung ist erhalten (Hölscher: 10).

Ab 1570 hatte Margarethe ein weiteres Wirkungsfeld, das Stift Freckenhorst im Münsterland. Aus Wilhelm Kohls Darstellung ihrer dortigen Wahlkapitulation (Kohl 1950: 332-336 ) wird noch ein ganz anderer praktischer Ausgabenbereich sehr deutlich. So versprach sie, den Damen und Herren des Kapitels ihre gewohnten Einkünfte sowie zu bestimmten Feiertagen ein gebratenes Huhn, Gänse oder Potthast zukommen zu lassen. Eine Änderung setzte sie durch: Nachdem bisher die Herren jährlich drei Schweine bekamen und die Damen zwei, sollten beide Parteien nun gleichgestellt werden. Alle 14 Tage stand allen Malz zum Bierbrauen zu.

In ihrer Wahlkapitulation versprach sie auch, keine Neuerungen in der Religion durchzuführen. Das ist sehr verwunderlich, weil ihre protestantische Gesinnung bekannt war und sie gerade deswegen sicher vom Kapitel angefragt und gewählt worden war. Die Vorgängerin hatte nämlich zum großen Ärger des Bischofs von Münster, in dessen Bistum Freckenhorst liegt, ehemaligen Anhängern der Täufer Unterschlupf gewährt. In der Wahlkapitulation versprach sie ferner, dass sie einen Teil des Jahres in Freckenhorst residieren würde, aber nach eigenem Ermessen zur Erledigung ihrer Aufgaben in Herford dorthin reisen würde. Das kam ihr zu Gute, als 1572 eine Visitation im Bistum Münster angesagt wurde. Schon als die Visitatoren sich Freckenhorst näherten, reiste sie nach Herford. Mit der Abwesenheit der Äbtissin konnten die Stiftsdamen und Kanoniker die Visitation verweigern.

Im selben Jahr, 1572, war Margarethe auch noch zur Äbtissin von Borghorst bei Steinfurt gewählt worden. Dort war die Stimmung gemischt. Es gab Sympathien für die neue Lehre, aber die Schreckensherrschaft der Täufer in Münster hatte auch konservative Strömungen gestärkt, sodass 1563 eine vom Bischof von Münster vorgeschlagene katholische Äbtissin gewählt worden war. Doch dieser Eingriff in Stiftangelegenheiten schürte offenbar Ärger und Angst vor Bevormundung im Kapitel, sodass nach deren Tod Margarethe einstimmig gewählt wurde. Auch dort floh sie 1573 vor der Visitation, jedoch gelang es dem Kapitel nicht, die Visitatoren abzuweisen. Und nach Margarethes Tod wurden in Borghorst nur noch katholische Äbtissinnen gewählt, während in Freckenhorst nach einer katholischen Nachfolgerin, 1604 eine Großnichte Margarethes mit überwältigender Mehrheit gewählt, aber dann nicht vom Bischof von Münster bestätigt wurde.

Ein kurzer Blick soll auf die Nachfolgerinnen in Herford geworfen werden, die in der Folge mit der Stadt um Einfluss bei Besetzung von Pfarrstellen, insbesondere der Münsterpfarrei stritten. Bei ihrer Einführung im Jahre 1578 bekräftigte ihre Nachfolgerin, Felicitas von Eberstein, (die bereits Äbtissin von Gerresheim war, vgl. Heidemarie Wünsch, Agnes von Mansfeld, www.frauen-und- reformation.de, unter „Wirkungsbereich“) die Rechte des Kapitels und des Klerus nicht zu schmälern. Margarethes Schwester Magdalena war deren Koadjutorin und ab 1587 ihre Nachfolgerin. Ihr folgte bereits 1604 Felizitas II von Eberstein, die einen langen Streit ausfocht wegen eines Eingriffs der Stadt in ihre geistliche Gerichtsbarkeit. Allerlei Schriftstücke -Anfragen an Universitäten etc. - dieses Streites sind erhalten. Er endete mit einem Kompromiss, der besagte, dass die Äbtissin das Ernennungsrecht behielt, die Stadt aber ein Einspruchsrecht habe. Magdalena II zur Lippe (1621-1640), Margarethes Nichte, musste sich mit dem Restitutionsedikt von 1629 herumschlagen, wonach alle nach 1552 von Protestanten eingenommenen Bistümer und Prälaturen zu restituieren seien. Da Herford 1552 zwar ganz protestantisch war, die Äbtissin aber katholisch, ernannte der Kaiser eine Gegenäbtissin. Nach Änderung der politischen Lage (Eingriff Schwedens in den 30jährigen Krieg) beauftragte Magdalene 1637 ein Gutachten zur kirchlichen Stellung der Äbtissin in Herford. Es bestätigte die geistliche und weltliche Jurisdiktion des Stiftes Herford, das allein dem Papst unterworfen sei – ein ungewöhnliches Ergebnis für ein protestantisches Stift. Die Äbtissin sei weltliche und kirchliche juristische Person mit eigenem Territorium und der Verpflichtung zur Seelsorge. Leerstehende Klöster würden der Äbtissin zufallen und nicht der Stadt. Gegen Ende des 30 jährigen Krieges besetzte der Große Kurfürst Herford. Er bestätigte zwar die kirchlichen Verhältnisse in Herford, für die Stadt bedeutete es dennoch das Ende der Reichsunmittelbarkeit. Mit dem Westfälischen Frieden errang Brandenburg auch die Bestätigung der Schirmvogtei über die Reichsabteien in Herford, Essen und Werden (Fürstenberg: 110f.). Damit kamen andere Geschlechter für die Wahl der Äbtissinen in den Blick; eine der bedeutendsten ist Elisabeth III von der Pfalz, eine Cousine des Großen Kurfürsten, die mit Descartes eng befreundet war und die auf Bitte ihrer Freundin Anna Maria Schumann Labadisten in Herford aufnahm, später auch verfolgte Quäker. Die letzte Äbtissin war Friederike Charlotte von Brandenburg-Schwedt. 1802 wurde das Stift aufgelöst.

(Zum Bild:Grabmal der Äbtissin Margarethe zur Lippe im Herforder Münster; Copyright: Christoph Laue, Herford)

 

Reformatorische Impulse

Margarethe zur Lippe war die erste protestantische Äbtissin des traditionsreichen reichsunmittelbaren Stiftes Herford. Sie hat den Wechsel offiziell vollzogen, nachdem sie noch als katholische Äbtissin inthronisiert wurde. Sie hatte offensichtlich mehrheitliche Akzeptanz innerhalb des Kapitels und zeigte selbst mutiges und selbstständiges Handeln. Dass sie über Herford hinaus großes Ansehen genoss, als „kompetent“ galt, beweist, dass sie auch von den Kapiteln der Stifte Freckenhorst und Borghorst angefragt und gewählt wurde.

Ihr Name aber steht exemplarisch für ihre Vorgängerinnen und Nachfolgerinnen im Amt der Äbtissin von Herford. Daneben steht sie als Beispiel für die große Bedeutung ihrer Abtei und der Macht und den Möglichkeiten, die eine Äbtissin bereits lange vor der Reformation ausüben konnte und musste. Deshalb wurden neben Margarethe zur Lippe auch die Geschichte des Stiftes sowie andere streitbare Äbtissinnen in die Darstellung einbezogen .

„Der Sachsenspiegel zeigt die Äbtissinnen der Reichsklöster neben den Bischöfen, die Szepterlehen vom Deutschen König empfangend, wie auf der anderen Seite die Laienfürsten des Reiches von ihm die Fahnlehen nehmen.…. Wenn wir sonst nichts mehr von unserem Stift wüßten, so würde der Sachsenspiegel allein mit dieser Einordnung geistlicher Frauen in die staatliche Gliederung Deutschlands schon ahnen lassen, welches Schwergewicht einem Gebilde zukam, das ein volles Jahrtausend - und das vor der sogenannten Frauenemanzipation unserer Zeit- institutionell eine weibliche Gemeinschaft unter dem Stab und Szepter der fürstlichen Äbtissin neben die anderen Fürsten des Reiches stellte“ (Cohausz: 9). Und er sieht sie in der Tradition der Jungfrauen und Witwen des Neuen Testamentes, die seiner Meinung nach eindeutig ein klerikales Amt bekleideten. Michael von Fürstenberg dagegen wehrt sich vehement gegen Bestrebungen, die Äbtissinnen als Klerikerinnen zu bezeichnen und damit das Priesteramt für die Frau zu fordern (Fürstenberg: 367).

Zum Weiterlesen

Alfred Cohausz: Ein Jahrtausend Geistliches Damenstift Herford. Vortrag gehalten auf dem „Tag der Westfälischen Geschichte 1959“ in Herford, in: Herforder Jahrbuch 1 (1960), S. 1-11.

Michael Freiherr von Fürstenberg: „Ordinaria loci“ oder „Monstrum Westphaliae“? Zur kirchlichen Rechtsstellung der Äbtissin von Herford im europäischen Vergleich (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, Bd. 29), Paderborn 1995.

Detlef Hölscher: Klein, aber vielsagend. Eine Hohlmünze der Äbtissin Margarethe II zur Lippe und eine verwandte Prägung, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford, 2002/2003, S.39-50

Anke Hufschmidt: Adlige Frauen im Weserraum zwischen 1570 und 1700. Status-Rollen-Lebenspraxis, Münster 2001.

Hans Kiewning: Lippische Geschichte, Detmold 1942.

Wilhelm Kohl: Das (freiweltliche) Damenstift Freckenhorst, Germania Sacra, Das Bistum Münster 3, Berlin 1950, S. 332-336.

Wilhelm Kohl: Das Stift Borghorst vom 16. Jahrhundert bis zur Aufhebung, in:1000 Jahre Borghorst 968-1968, hrsg. von Stadt Borghorst, Münster 1968, S.63-74.

Wolfgang Petri: Die Darstellungen der Herforder Reformationsgeschichte und ihre Quellen, in: Jahrbuch das Vereins für Westfälische Kirchengeschichte 61 (1968), S. 217-221.

Alois Schröer, Der Anteil der Frau an der Reformation in Westfalen, in: R. Bäumer (Hrsg.), Reformatio Ecclesiae, Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit, Paderborn 1980, S.641-660.

Helge Bei der Wieden, Die Herkunft der Äbtissinnen der Reichabtei Herford vom Ende des 13. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 2002/2003, S.21-38.