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Hildegard Grams

Power-Frau und Pionierin

Ein Beitrag von Ulrike Voigt

Hildegard Grams Copyright: EmK-Weltmission, Wuppertal

Lebensdaten:

1920 - 2007


Beziehungen

Hildegard Grams wurde am 28. November 1920 als Älteste von vier Kindern in Schneidemühl, einer Stadt in der früheren Grenzmark Posen/Westpreußen, geboren. Ihr Vater Max (*1883) arbeitete als Maschinenschlosser bei der Eisenbahn, ihre Mutter Ottilie Elisabeth geb. Jeske (*1898) war Hausfrau. 1922 schlossen sich ihre Eltern der neugegründeten Bischöflichen Methodistenkirche in Schneidemühl an und legten damit den Grundstein für die lebenslange Verbindung Hildegard Grams’ zur methodistischen Kirche. Pastor der Gemeinde dort war Ernst Scholz (1894-1972), dessen Frau Luise Scholz (1890-1972) später für die Aussendung nach Indien eine wichtige Rolle in Hildegard Grams Leben spielte.

1932 nahm der Vater von Hildegard Grams eine Stelle in Berlin an. In Lichtenberg im Osten Berlins fand die Familie eine neue Heimat und gehörte nun zur methodistischen Elim-Kirche in der Tilsiter Straße. Ab 1934 besuchte Hildegard die Aufbauschule (Oberschule für Mädchen) und machte 1939, kurz vor Kriegsausbruch, das Notabitur.

Wegen des Kriegsausbruchs konnte Hildegard ihren Berufswunsch Lehrerin nicht weiterverfolgen. Sie wurde für ein halbes Jahr zum Kriegsdienst verpflichtet und erhielt dann eine Kurzausbildung zur physikalisch-technischen Laborantin. Bei der Firma Telefunken arbeitete sie als Funktechnikerin und lebte nach der Auslagerung der Firma von 1942-1945 im Erzgebirge.

Nach der Rückkehr ins zerbombte Berlin nach Kriegende plante Hildegard Grams weiterhin Lehrerin zu werden. Aber auf Drängen des neuen Gemeindepastors der Elim-Kirche, Karl Kreutzer, begann sie am 1. Januar 1946 ihre Arbeit als hauptamtliche Gemeindehelferin in ihrer alten Gemeinde in der Tilsiter Straße. Sie war die erste Gemeindehelferin der Bischöflichen Methodistenkirche in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Da sie keine einschlägige Ausbildung hatte, gab Pastor Kreutzer ihr Unterricht in theologischen und pädagogischen Fächern. Von ihrem kleinen Gehalt unterstützte Hildegard ihre Familie.

(Zum Bild:Sonntagsschule in Berlin in den Nachkriegsjahren mit Hildegard Grams [hinten Mitte], „Tante Tildchen“; © Evangelisch-methodistische Kirche, Gemeindearchiv Berlin-Friedrichshain)

Besonderer Schwerpunkt von ihr im zerstörten Berlin der Nachkriegsjahre war die Arbeit mit Kindern. Hildegard Grams begann mit drei Kindern in den Ruinen der zerstörten Kirche Sonntagsschule abzuhalten. Nach einem Jahr war die Sonntagsschule auf 300 Kinder angewachsen und musste in die Aula einer benachbarten Schule verlegt werden. Die Sonntagsschularbeit war so beliebt, dass Berliner Kinder auf der Straße „Sonntagsschule“ spielten und Hildegard Grams nachahmten. Sie beteiligte sich außerdem an der Suche nach vermissten Gemeindegliedern, machte Hausbesuche und arbeitete tatkräftig am Wiederaufbau der Elim-Kirche (1946-1948) mit.

Hildegard Grams gründete einen Kinderchor für 8–14-jährige Kinder, eine Jungschar für 11–14-Jährige, einen Frauenkreis und schließlich einen gemischten Chor. Daraus entwickelten sich evangelistische Veranstaltungen und ein blühendes Gemeindeleben. Mit den Kindern veranstaltete sie auch Zelt- und Ferienlager in den Sommerferien, bei denen sich viele Kinder dank der von Hildegard Grams organisierten Lebensmittel einmal wieder satt essen konnten. Da sich herausstellte, dass viele Kinder nicht schwimmen konnten, organisierte sie auch Schwimmunterricht.

Ende der 1940-er Jahre hörte Hildegard Grams den Vortrag der China-Missionarin Maria Uhlmann. Dieser Abend war der Anstoß für ihre Überlegungen, ob sie in den Missionsdienst berufen sei. Zu dieser Frage führte sie auch immer wieder Gespräche mit Luise Scholz, der Frau des Pastors aus ihrer früheren Gemeinde Schneidemühl, die inzwischen als Leiterin des methodistischen Frauendienstes ebenfalls in Berlin lebte.

Im September 1950 beendete Hildegard Grams ihre Arbeit als Gemeindehelferin in Berlin. Sie erhielt überraschend ein Visum, um im Westen zu studieren – für die DDR-Bürgerin eine weitere wichtige Bestätigung auf dem Weg in die Mission.

Im Wintersemester 1950 begann sie ihr Theologiestudium am „Predigerseminar“ in Frankfurt am Main als Vorbereitung auf den Missionsdienst. Bei dieser Ausbildungsstätte für Pastoren der Bischöflichen Methodistenkirche in Deutschland konnten seit 1908 methodistische Frauen, die in die Äußere Mission gehen wollten, eine Ausbildung erhalten. In Frankfurt war Hildegard Grams die einzige Frau unter 56 angehenden Pastoren und erst die dritte Missionarin, die dort studierte. Statt wie ursprünglich gewünscht nach China sollte es jetzt eine Aussendung nach Indien sein. Neben ihrem theologischen Studium erwarb Hildegard Grams Kenntnisse in Krankenpflege und engagierte sich in einem Frauengefängnis. Nach Abschluss des Studiums verbrachte sie 1952 einige Monate in England.

Am 25. Januar 1953 fand die „Abordnungsfeier in den Missionsdienst“, wie es damals hieß, in der methodistischen Christuskirche Berlin-Schöneberg statt. Hildegard Grams wurde durch die Missionsgesellschaft der methodistischen Kirche in Deutschland ausgesandt. Deren Frauendienst, dessen Arbeit eng mit der Mission verknüpft war, übernahm die finanzielle Verantwortung für Hildegard Grams wie auch die ideelle Unterstützung. Nach der Vereinigung von Bischöflicher Methodistenkirche (BMK) und Evangelischer Gemeinschaft (EG) im Jahr 1968 übernahm die neugeschaffene Missionsbehörde der Evangelisch-methodistischen Kirche die Belange der Missionare beider Kirchen. In der Zeitschrift des methodistischen Frauenwerkes, „Du und Ich“, erschienen von 1953-1968 immer wieder ausführliche Berichte über die Arbeit von Hildegard Grams (danach im „Frauendienst-Rundbrief“).

Es folgten nun fast 48 Jahre segensreichen Wirkens und Leitens eines ständig wachsenden Werkes, eines Internats und einer Ausbildungsstätte für junge Mädchen, in Batala, Indien (siehe Wirkungsbereich). Bis weit ins „Ruhestandalter“ blieb Hildegard Grams immer weiter tatkräftig an der Arbeit. Die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger gestaltete sich aus verschiedenen Gründen, u.A. auch wegen der Fülle der von ihr wahrgenommenen Aufgaben, sehr schwierig und zog sich letztlich über fast 20 Jahre hin.

(Zum Bild: Hildegard Grams besucht mit 84 Jahren noch einmal „ihre“ Schule in Batala [2004]; © EmK-Weltmission, Wuppertal)

Am 6. April 2001 kehrte Hildegard Grams im Alter von 80 Jahren aus Indien nach Deutschland in die Nähe von Hannover zurück. Sie bekam eine indische Nachfolgerin. 2004 konnte Hildegard Grams Indien und „ihre“ Schule in Batala noch einmal besuchen und sich von dem anhaltenden Erfolg der von ihr begonnenen Arbeit überzeugen, die die Behörde für Weltmission der Evangelisch-methodistischen Kirche bis heute mitfinanziert. Nach kurzer, schwerer Krankheit starb sie am 5. Februar 2007 in Nienburg an der Weser.

 

Wirkungsbereich

Am 2. März 1953 reiste Hildegard Grams per Schiff von England zum ersten Mal nach Indien aus. In Amritsar, der Hauptstadt des Punjab, begegnete sie zum ersten Mal der Missionarin Lilly Swords (1911–1997), die zunächst Dolmetscherin und Mentorin war und ihr später eine gute Freundin und Stütze in den vielfältigen Aufgaben wurde.

(Zum Bild: Hildegard Grams [rechts] und Lily Swords [1911–1997] in Batala [1979]; © EmK-Weltmission, Wuppertal)

Noch im März 1953 kam Hildegard Grams zum ersten Mal in die Stadt Batala, ungefähr 35 km von Amritsar entfernt. Dort wollte Lilly Swords ein Internat mit Schule für ungefähr 300 Kinder gründen. Hildegard Grams sollte hier später jahrzehntelang wirken.

Hildegard Grams begann zunächst mit dem Erlernen von Punjabi in Sprachkursen in Landour im Himalaya und in Ludhiana. Die indische Jährliche Konferenz in Delhi hatte H.G. zusammen mit Lilly Swords für eine missionarische Arbeit in den Dörfern zweier Distrikte des Bezirkes Batala vorgesehen. 1954 legte sie ihr erstes Sprachexamen ab und erkrankte gleichzeitig schwer. Wegen ihres Gesundheitszustandes konnte sie die geplante Arbeit nicht aufnehmen. Daher sollte sie ab 1955 in einem Kinderheim in Bareilly (Uttar Pradesh) mitarbeiten. Dafür musste sie noch eine weitere Sprache, Hindi, erlernen.

Bareilly spielt in der Geschichte des Methodismus in Indien eine zentrale Rolle, denn von hier aus begann 1856 Dr. William Butler von der amerikanischen Missionsgesellschaft als Missionar unter schwierigsten Bedingungen zu arbeiten. In Bareilly befanden sich von der Methodistenkirche das Clara Swain Hospital (1870 gegründet, das erste Krankenhaus für Frauen in Asien), das North India Theological College (1872), die Lane School (1931; Missionsschule mit Internat für ca. 470 Kinder), eine Ausbildungsschule für einen einjährigen Kurs in Kinder- und Gesundheitspflege für junge Mädchen sowie die Warne Baby Fold (1919, ein Kinderwaisenhaus für ca. 35 Kinder bis 6 Jahre).

Hildegard Grams arbeitete sowohl mit den Waisenkindern der Warne Baby Fold wie auch mit den 14–18-jährigen Mädchen des Kinderpflegekurses und unterrichtete sie unter anderem in Bibelkunde. 1957 übernahm Hildegard Grams vorübergehend die Leitung des Waisenheimes.

Am 9. Mai 1958 verließ Hildegard Grams Indien zum ersten Heimaturlaub. Ihr Gesundheitszustand und eine erneute Erkrankung erforderten neben einer längeren Behandlung die Verlängerung des Urlaubs; zunächst schien eine zweite Ausreise sogar unmöglich. Doch nach vielen Gebeten geschah das von den Ärzten für unmöglich Gehaltene: die Tropentauglichkeit von Hildegard Grams war wieder hergestellt.

Sie reiste während dieser Zeit durch die methodistischen Gemeinden in Deutschland, berichtete von ihrer Arbeit und sammelte Spenden.

Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in Bareilly erschien es ihr unabdingbar, jungen Mädchen eine sozialpädagogisch-theologische Ausbildung zu ermöglichen, die diese befähigen sollte, in Heimen, Schulen oder Kirchengemeinden mit Kindern zu arbeiten. Eine solche Ausbildung für junge Mädchen gab es in Indien nicht, entsprechende Aufgaben wurden meist von Frauen ohne Ausbildung wahrgenommen. Um eine in Indien anerkannte Ausbildung mit Abschluss anbieten zu können, studierte Hildegard Grams in Frankfurt am Main von 1960-1962 zusätzlich Sozialpädagogik.

Die zweite Ausreise verzögerte sich immer länger, weil sie kein Visum für Indien erhielt. Während der Wartezeit, die schließlich zwei Jahre dauerte, sammelte sie praktische Erfahrungen am Kinderkrankenhaus in Duvenstedt bei Hamburg.

Ende 1964 konnte Hildegard Grams endlich zum zweiten Mal nach Batala ausreisen. Sie erhielt eine Dienstzuweisung für die Leitung des Internats (Hostel) in Batala, das ab 1955 gebaut worden war und mitsamt der Schule seit 1958 unter der Leitung von Lilly Swords in Betrieb war. Die dazu gehörende Schule war zunächst eine Primary School mit fünf Klassen, im Laufe der Jahre baute Hildegard Grams die Schule bis zum 12. Schuljahr aus, Teile der Schulausbildung waren staatlich anerkannt.

1965 gründete sie die „Training School for Hostel Wardens“. Das war eine Fachschule, in der junge Frauen mit Schulabschluss in einer zweijährigen Ausbildung eine umfassende Ausbildung für die Leitung von christlichen Heimen und Schulen und für die Arbeit mit Kindern erhielten. Durch die räumliche Nähe von Ausbildungsschule und Internat konnte das Erlernte sofort praktisch umgesetzt werden, denn die Auszubildenden wurden als Betreuungskräfte im Internat eingesetzt.

Die Schule hatte schnell Erfolg und bekam Anfragen und Bewerbungen aus ganz Indien. Der Unterricht umfasste Altes und Neues Testament, Dogmatik, Kirchengeschichte, Religionspädagogik, Psychologie, Kinderbeschäftigung, Englisch, Mathematik und Verwaltungsaufgaben. Leiterin und Lehrerin für alle Fächer der Training School war bis zum Jahr 1970 Hildegard Grams allein.

Die stetig wachsende Nachfrage nach Ausbildungs- und Internatsplätzen führte zu mehreren Neubauten und Grundstückszukäufen, für die Hildegard Grams unermüdlich um Gelder bei der eigenen Missionsbehörde, bei „Brot für die Welt“ und der „Kindernothilfe“ in Deutschland warb, mit der sie später auf dem Gebiet der Patenschaften eng zusammen arbeitete. Persönlich kümmerte sie sich um Baumaterialien, Baumaßnahmen und Handwerker.

Hildegard Grams war zunächst Managerin des Internates, leitete ab 1965 auch die „Training School“ und hielt den Unterricht dort ab, 1971 wurde sie auch noch Leiterin der Primary School und ihrer Aufstockungen. Sie baute nach und nach ein Team von ca. 90 Mitarbeitern und Lehrkräften auf, das sie verantwortlich führte. Im Jahr 2004 hatte die Schule ca. 1400 Schüler, das Internat mit über 400 Plätzen gehört zu den größten in Nordindien.

Ein weiterer Bereich der Arbeit von ihr war die Arbeit mit „Bibelfrauen“, die auf den Dörfern für christlichen Unterricht bei Frauen eingesetzt wurden, die von Hildegard Grams mit den Auszubildenden der „Training School“ durchgeführten Sommerbibelschulen in den Dörfern, die teils der Unterweisung der christlichen Kinder, teils der Mission dienten. Sie richtete zudem mit ihren Mitarbeitern einen großen landwirtschaftlichen Betrieb, die Farm, auf dem erweiterten Gelände der methodistischen Schule in Batala ein. Der Ertrag an Weizen, Reis, Eiern etc. diente nicht nur der Selbstversorgung des Hostels, sondern auch als Einnahmequelle. Der methodistische Bischof Parma schrieb in einem Bericht über diese Zeit: „Der Punjab ist das einzige Gebiet in Nordindien, wo die Arbeit der Kirche im ländlichen Raum überlebt hat. Dies mag zu einem guten Teil auf den hingebungsvollen Dienst von Lilly Swords und Hildegard Grams zurückzuführen zu sein“.

Obwohl die Schule christlich geprägt war, wurde sie von Kindern aller Religionen besucht. Das friedliche Miteinander zog weite Kreise. Bei mehreren Überflutungskatastrophen wurden die Gebäude von Internat und Schule zum Zufluchtsort und zur Notunterkunft für die gesamte Bevölkerung der Umgebung. Hildegard Grams genoss in der Umgebung und weit darüber hinaus hohes Ansehen bei Menschen aller Religionen.

Sie war weiterhin für die christliche Frauenarbeit im Bezirk Batala sowie für überregionale Schulungen von Internats-Leitern verantwortlich. Darüber hinaus war sie unermüdlich für „ihre“ Kinder tätig, besorgte Materialien und Literatur für ihre Unterhaltung und Bildung, und übersetzte dafür unter anderen viele deutsche Kinderbücher in die Hindi-Sprache.

Eine schwere Belastung der Arbeit brachten die 1980-er Jahre. Der Punjab litt unter dem Terrorismus einer brutalen Separatistengruppe der Sikhs. Diese machte auch vor Schule und Hostel in Batala nicht Halt, aber durch die vielen Jahre einer toleranten und alle Religionen einbeziehenden Arbeit gelang es Hildegard Grams, die Schule weitgehend vor Zerstörungen und Gewalt zu schützen.

Immer wieder, wegen der Fülle ihrer Aufgaben allerdings unregelmäßig und nur alle paar Jahre, reiste sie zum Heimaturlaub nach Deutschland, um im sog. „Reisedienst“ in den evangelisch-methodistischen Gemeinden von ihrer Arbeit zu berichten und um Spenden für Batala zu werben. Von Deutschland aus erhielt Hildegard Grams auch viele Sachspenden für ihre umfangreiche Arbeit sowie zeitweise personelle Unterstützung und Besuche.

In den 1990-er Jahren wurde in Batala auf Mitinitiative von Hildegard Grams ein englischer Schulzweig eingerichtet. Schmerzlich war für sie der Beschluss des Bischofs der indischen Methodistenkirche am Ende der 1990-er Jahre, die Arbeit ihrer „Training School“ einzustellen, um sich anderen Arbeitsbereichen mit finanziellem Gewinn zuzuwenden. So leitete Hildegard Grams 1998/1999 den letzten Kurs der von ihr begründeten Ausbildung. Viele ihrer Schülerinnen und Schüler leiten inzwischen christliche Institute und Heime in ganz Indien. Unzähligen Kindern hatte die Arbeit von Hildegard Grams mit den von ihr geleiteten Instituten einen aussichtsreichen Weg in die Zukunft eröffnet, unzähligen hatte sie die biblische Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus vorgelebt.

(Zum Bild: Hildegard Grams mit ihrem langjährigen Verwalter und Ziehsohn Umeed Masih [1999]; © EmK-Weltmission, Wuppertal)

Reformatorische Impulse

Alles, was Hildegard Grams tat, lebte sie aus ihrer Berufung in die Nachfolge Christi. Sie setzte sich stets mit ihrer ganzen Person dafür ein, vor allem Kinder und junge Menschen zu sammeln, und ihnen eine vom christlichen Geist geprägte Erziehung und Ausbildung zu bieten. Sie nahm die Potenziale der „Unterprivilegierten“ ernst und förderte sie. Damit erhielten junge und ältere Menschen bessere Lebenschancen, unabhängig von der Herkunft.

So begründete Hildegard Grams vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in Bareilly (Babypflegekurs für Mädchen) eine sozialpädagogisch-theologische Ausbildung für junge Mädchen, die diese befähigen sollte, in Heimen, Schulen oder Kirchengemeinden mit Kindern zu arbeiten. Eine solche Ausbildung für junge Mädchen gab es in Indien nicht, entsprechende Aufgaben wurden davor meist von Frauen ohne Ausbildung wahrgenommen. Um eine in Indien anerkannte Ausbildung mit Abschluss anbieten zu können, studierte Hildegard Grams zuvor in Frankfurt am Main von 1960-1962 zusätzlich Sozialpädagogik. Sie hat mit dieser Arbeit und ihrer Schule viel zur Emanzipation indischer Mädchen beigetragen.

Im Juni 1959 wurde Hildegard Grams bei der Nordostdeutschen Jährlichen Konferenz in Berlin-Schöneberg als erste Frau der Bischöflichen Methodistenkirche ordiniert. Der damalige Bischof Friedrich Wunderlich (1896-1990) wurde durch diese erste Frauenordination in seiner Kirche veranlasst, den ungewöhnlichen Schritt mit einer persönlichen Stellungnahme in der Kirchenzeitschrift zu erklären: „Die Ordination von ihrem Missionsfeld Indien aus [wurde] als unabdingbare Notwendigkeit empfunden“ („Der Evangelist“ Nr. 25, 21.6.1959, S. 292). Hildegard Grams wird daher des öfteren als „erste Pastorin der Methodistenkirche“ tituliert, was aber nicht zutrifft. Eine Pionierin des Glaubens, Predigerin des Evangeliums und auch Förderin des interreligiösen Dialoges, den sie ganz selbstverständlich mit den Kindern in ihrer Schule lebte und gestaltete, ist sie auf jeden Fall.

1982 wurde ihr als erster Missionarin der Evangelisch-methodistischen Kirche in Indien in der deutschen Botschaft in Delhi das Bundesverdienstkreuz verliehen. Besonders hervorgehoben wurde in der Begründung das Erziehungsprinzip der Schule, Kinder verschiedener Religionen gemeinsam im Respekt voreinander zu erziehen; außerdem die in dem von ihr geführten Internat in Batala angebotene Möglichkeit für die Kinder aus armen Schichten, die Nachteile ihrer Herkunft durch hervorragende Bildung und liebevolle Fürsorge zu überwinden.

Kommentar

Das Leben und Wirken von Hildegard Grams ist besonders dadurch geprägt, dass es ihr gelang, stets durch einfallsreiche, auf die jeweilige Situation zugeschnittene Aktionen und Projekte vor allem junge Menschen zusammenzurufen und sich ganz für sie einzusetzen, mit unermüdlicher Kreativität und Schaffenskraft genau die richtigen Strukturen für sie zu schaffen und zu organisieren. Dafür bildete sich die Missionarin auch im höheren Alter unermüdlich fort.

Sie war eine selbstbewusste, unerschrockene, sehr dominante Führungspersönlichkeit, die sich in ihrem Glauben von Gott getragen und gesendet wusste. In diesem Sinne wagte sie es auch häufig, sehr selbstständig Dinge und Projekte anzupacken, ohne dass bereits im Vorfeld alle Hindernisse (vor allem auch finanzieller Art) geklärt gewesen wären. Für die Missionsbehörde in Deutschland, die die inhaltliche und finanzielle Verantwortung für ihre Arbeit hatte, was das nicht immer leicht. Auch in gesundheitlichen und politischen Krisen ließ sie sich nicht ermutigen. Das große Gottvertrauen und die Schaffenskraft von Hildegard Grams vermochte die anderen Mitarbeitenden mitzureißen. So schrieb sie einmal: „Von Tag zu Tag werden uns die Mittel geschenkt, die zur Aufrechterhaltung des Werkes nötig sind, und das ist nicht immer eine leichte Sache. Wie oft sind uns unsere Kinder eine Inspiration, wie sie so einfach froh in den Tag hineinleben, einfach vertrauen, dass für sie gesorgt wird. Und in ihrem kindlichen Glauben werden sie auch nicht enttäuscht. Das haben wir ja auch immer wieder erfahren.“

Ein wenig stolz war sie darauf, in Indien manchmal mit Indhira Ghandi verwechselt zu werden. Für eine Frau ihrer Zeit hatte sie ein sehr großes Selbstbewusstsein und „stand ihren Mann“. Sie war ein lebendiges Zeugnis dafür, was der Glaube vermag und welche Kraft die Gewissheit geben kann, von Gott gesandt und berufen zu sein.

(Die Biographie – auf dem Umschlagfoto trägt Hildegard Grams das Bundesverdienstkreuz, das sie 1982 erhielt. Ulrike Voigt: Hildegard Grams – Ein Leben für Indien. Stuttgart/ Göttingen 2004/2006)

Zum Weiterlesen

Frauenwerk der Evangelisch-methodistischen Kirche (Hrsg.): Mit Weisheit, Witz und Widerstand. Die Geschichte(n) von Frauen in der Evangelisch-methodistischen Kirche, Stuttgart 2003 [bes. S. 283ff.].

P. Lange/T. Steinbacher (Hrsg.): 125 Jahre Methodistische Gemeinde in Friedrichshain. Eine Chronik zum Gemeindejubiläum 2013 [Berlin 2013], Teil 1, [S. 12f.], Teil 2, [S. 8, 10f.].

S. Mohansingh u.a.: (Art.) „India“, in: The Encyclopedia of World Methodism I, Nashville 1974, 1202-1209.

K. Steckel/ C. E. Sommer (Hrsg.): Geschichte der Evangelisch-methodistischen Kirche. Weg, Wesen und Auftrag des Methodismus unter besonderer Berücksichtigung der deutschsprachigen Länder Europas, Stuttgart 1982 [Neuauflage 2008].

U. Voigt: Hildegard Grams – Ein Leben für Indien, Stuttgart 2005 [2. Aufl., Göttingen 2006].

U. Voigt: (Art.) „Hildegard Grams“, in: BBKL 28 (Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon), Göttingen 2007, Sp. 679-686.