Bedienhilfe zur Biografie

Hier ist die Biografie der ausgewählten Frau zu finden. Unter dem Namen der Frau erscheint eine Überschrift, die als Motto für ihr Leben zu verstehen ist. Jede Biografie ist anschlussfähig für den social media Bereich. Die Biografie kann als Link gepostet werden, wobei gleichzeitig die EKD Datenschutzrichtlinien berücksichtigt werden. Durch Anklicken der Felder „Beziehungen“, „Wirkungsbereich“, „Reformatorische Impulse“, „Kommentar“ und „Zum Weiterlesen“ öffnen sich die Felder und der jeweilige Inhalt kann gelesen werden.

Wenn Sie wieder zur Ansicht der Erinnerungslandkarte von den Frauen, die reformatorische Impulse gesetzt haben, gelangen möchten, klicken Sie bitte oben links auf „Zurück zur Karte“. Wenn Sie den Bereich wechseln möchten, können Sie dies durch Anklicken der jeweiligen Rubriken in der oberen Menüleiste tun. In roter Schriftfarbe ist immer der Bereich kenntlich gemacht, in dem Sie sich gerade befinden.

Anne Marie Heiler

Als Frau in politischer Verantwortung

Ein Beitrag von Petra Holz

Anne Marie Heiler Copyright: Ev. Zentralarchiv Berlin

Lebensdaten:

1889 - 1979

Unter weiteren Namen bekannt als:

Anne Marie Ostermann


Beziehungen

 Anne Marie Ostermann wird am 21. März des Jahres1889 in Brackwede bei Bielefeld als ältestes von sieben Kindern geboren. Der Vater August war evangelischer Pastor, die Mutter Elisabeth, geborene Wolpers, führte den Haushalt. Nach dem Abitur ist sie zunächst als Lehrerin tätig, doch empfindet sie den Gegensatz zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und religiösem Glauben als nicht überwindbar. Erst ein mystisches Erlebnis bringt für sie Klarheit und sie entschließt sich zum Studium der Theologie, Philosophie und Germanistik, das sie nach Halle, Berlin und schließlich nach Marburg führt. Dort, in dem beschaulichen Universitätsstädtchen an der Lahn, wird sie den Rest ihres Lebens verbringen.

Der verlorene Erste Weltkrieg und die „Novemberrevolution“ bedeutete auch für die junge Studentin eine Hinwendung zur Politik. Sie engagierte sich für das Frauenwahlrecht und in der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV), wo sie auch ihren späteren Mann, den Marburger Theologen und Religionswissenschaftler, Friedrich Heiler, kennenlernt. Das Paar bekommt drei Töchter und Heiler widmete sich in den ersten Jahren ihrer Ehe vor allem der Familie und unterstützte ihren Mann bei dessen wissenschaftlicher Tätigkeit und in der Hochkirchlichen Vereinigung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstand sie deren Ansatz, die Annäherung der beiden Konfessionen, konkret politisch und trat in die neugegründete und überkonfessionelle CDU ein. Heiler sah aber auch die Notwendigkeit eines überparteilichen frauenpolitischen Zusammengehens nach 1945. Als eine der „neun Marburger Musen“ zählte sie zu den Gründerinnen des Frauenausschusses in Marburg und später des Frauenverbandes Hessen (FVH). Schon kurz nach Kriegsende konnte sie sich als ehrenamtliche Stadträtin und Dezernentin für Jugendhilfe und -pflege für die konkrete Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen in Marburg einsetzen. 1949 zog sie als einzige weibliche Abgeordnete aus Hessen in den ersten Deutschen Bundestag ein, wo sie ebenfalls wieder – und typisch für weibliche Abgeordnete – die Bereiche für Jugendfürsorge, Gesundheitswesen und Sozialpolitik vertrat. Zusammen mit Margarete Gröwel gehörte sie bis 1960 als Vertreterin der CDU-Frauen dem Parteivorstand an. In der Debatte um Artikel 3 Abs. II des Grundgesetzes, „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“, vertrat Heiler zwar die Forderung nach Abschaffung des ehemännlichen und väterlichen Stichentscheides im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), entschuldigte aber letztendlich doch die Taktik Konrad Adenauers und des konservativen Flügels in ihrer Partei, die Entscheidung so lange wie möglich hinauszuschieben. Ihren schon sicher geglaubten Listenplatz musste sie dann für die jüngere Frankfurter Juristin Elisabeth Schwarzhaupt räumen, die sich in den kommenden vier Jahren mit viel Engagement und Geschick für die Abschaffung der strittigen Paragraphen im BGB einsetzen sollte.

Heiler war dann noch lange Jahre als Vorsitzende der Verbraucherzentrale Hessen tätig. Ein Höhepunkt war sicherlich auch 1959 die Reise nach Indien an der Seite ihres Mannes. In späteren Jahren wurden ihre Leistungen von der Stadt Marburg mit der Ehrenmedaille der Stadt und schließlich dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt. Anne Marie Heiler stirbt am 17. Dezember 1979 in Marburg.

Wirkungsbereich

Es lassen sich drei thematische Schwerpunkte im Wirken Anne Marie Heilers hervorheben, die sich in der konkreten täglichen Praxis oftmals gegenseitig bedingten und ergänzten:

  1. lokalpolitisches Engagement
  2. parteipolitisches Engagement
  3. frauenpolitisches Engagement

Rückblickend fasste Heiler ihr Engagement folgendermaßen zusammen:

„Meine ganze Arbeit [….] gilt diesem einen Anliegen – auch der Vorsitz in der Verbraucherzentrale. Es ist mir gleich, an welchem Zipfel und mit welcher Aufgabenstellung ich die Frauen an die Verantwortung für das Ganze heranbringe – wenn es nur überhaupt geschieht“ (aus: Nachlass Heiler in der Universitätsbibliothek Marburg).

Der erste Schritt in die politische Praxis lag bei Heiler ebenso wie bei vielen Frauen ihrer Generation in der pragmatischen und vielfach spontanen Mitarbeit in den nach 1945 entstandenen Hilfsorganisationen. In Marburg war es die „Christliche Nothilfe“, die sich der durchreisenden Flüchtlingsscharen in der relativ unzerstörten Universitätsstadt annahm. Konkrete Hilfe wollte auch der Marburger Frauenausschuss leisten, und zwar, indem er zur staatsbürgerlichen Schulung der Frauen beitrug. Spektakulärste Aktion der „Marburger Musen“, zu denen neben Heiler auch die Kommunistin Cilly Schäfer und die einzige Professorin der Philipps-Universität, Luise Berthold, gehörten, war die Durchsetzung einer eigenen, selbständig gestalteten Frauenbeilage im örtlichen Presseorgan, der Marburger Presse. Als Stadträtin schließlich war sie für alle Angelegenheiten der öffentlichen Jugendwohlfahrt und Jugendpflege tätig. Hier war es vor allem die Einrichtung von Jugendwohnheimen wie etwa die Lehrwerkstättensiedlung Cyriaxweimar, für die sich Heiler mit großem Engagement einsetzte. Es dürfe nicht vergessen werden, „dass das Schicksal unserer Jugend höher steht als Grundstücksverwaltung oder Kanalisation. Das Recht der Jugend ist das Lebensrecht unseres Volkes. Was wir an jungen Menschen nicht entwickeln, wird für unser Volk immer verloren sein“ (Heiler im Bundestag, 18.6.1953).

Ihre politische Heimat fand Heiler in der neugegründeten CDU, und es war vor allem die Tatsache, dass hier evangelische und katholische Christen zusammenarbeiten. Dieses Novum überkonfessioneller Zusammenarbeit machte die CDU für Heiler so interessant:

„CDU – Einigkeit, Einigung, Union – das sind Begriffe, die für uns durch die Schicksalsschläge der letzen Jahre und durch das deutsche Schicksal der Gegenwart einen neuen Klang und vertieften Inhalt bekommen haben. Es sind Güter geworden, um die wir ringen, Ziele, nach denen wir uns sehnen. Wenn wir aber die Einheit unseres Vaterlandes zurückzuerlangen hoffen, dann müssen wir zunächst einmal die Einigung aller aufbauenden Kräfte innerhalb unseres Volkes erstreben, und dazu gehört nicht zum wenigsten eine Verständigung der christlichen Kreise untereinander“ (Zitat Heiler in Marburger Presse, 12.4.1946).

Was Heiler auf kirchlichem Gebiet in der Hochkirchlichen Vereinigung erstrebte, das konnte sie in der politischen Arbeit in der CDU verwirklichen.

Reformatorische Impulse

Für Anne Marie Heiler resultierte ihr partei- und frauenpolitisches Engagement aus ihrer religiösen Überzeugung, wie sie in der Hochkirchlichen Bewegung repräsentiert wurde. Diese 1918 in Berlin gegründete Vereinigung vertrat das „Bewusstsein ökumenischer Einheit“ und forderte die „Wiederherstellung der Deutschen Messe Luthers, d.h. des Volksgottesdienstes mit Abendmahl im Mittelpunkt […], des Stundengebets, der Privatbeichte […]“ (Michael: Sp. 397f.).

 Anne Marie Heiler übernahm den theologischen Ansatz ihres Mannes verstand ihn aber nach 1945 auch konkret politisch, wenn sie die Annäherung der Konfessionen als Zusammengehen der aufbauenden gesellschaftlichen Kräfte interpretierte und auf den überkonfessionellen Charakter der CDU anwendete.

Heiler schrieb auch eigene Artikel in der Zeitschrift „Die Hochkirche“ und gab eine Textsammlung zur Mystik deutscher Frauen im Mittelalter heraus, in der sie die „schöpferische Persönlichkeit“ der behandelten Frauen hervorhob.

Kommentar

Die Biographie Anne Marie Heilers ist zugleich außergewöhnlich und typisch. Auergewöhnlich insofern, als sie als „Frau an seiner Seite“, als Frau eines erfolgreichen Mannes, aus dem Schatten des Ehemannes heraustrat und eine eigenständige politische Karriere aufbaute, die sie sogar in den ersten Deutschen Bundestag und in den Vorstand der CDU führte. Sie selbst bezeichnete sich immer als „Hausfrau“. Bezeichnend und typisch für ihre Generation politisch engagierter Frauen ist die Heranführung an das Politische über die pragmatische Arbeit vor Ort, die Übernahme politischer Ämter quasi aus Pflichtbewusstsein, aber auch das relativ späte politische Engagement in der zweiten Lebenshälfte, als die Kinder schon aus dem Haus waren. In ihrem Wunsch, die Frauen an die politische Verantwortung heranzuführen, auf welcher Ebene auch immer, kann sie auch heute noch beispielgebend sein.

Zum Weiterlesen

L. Berthold: Erlebtes und Erkämpftes. Ein Rückblick, Marburg 1969.

A. Gaedt: „Dein Reich komme“. Anne Marie Heiler. 21. März 1889 – 17. Dezember 1979, in: E. Röhr (Hg.),  Ich bin was ich bin. Frauen neben großen Theologen und Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1998, 187-222.

B. Hafenegger/W. Schäfer (Hgg.): Marburg in den Nachkriegsjahren, Bd. 3 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 83), Marburg 2006.

A. M. Heiler: Mystik deutscher Frauen im Mittelalter, Berlin 1929.

J. P. Michael: „Hochkirchliche Bewegung“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 5, Freiburg i.Br. 1960, Sp. 397-398.

R. Mumm: „Hochkirchliche Bewegung in Deutschland“, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XV, Berlin/New York 1986, 420-421.

U. Wischermann/E. Schüller/U. Gerhard (Hgg.): Staatsbürgerinnen zwischen Partei und Bewegung. Frauenpolitik in Hessen 1945-1955, Frankfurt a.M. 1993.