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Anni von Gottberg

„Den Unfrieden bringe ich in Potsdam“

Ein Beitrag von Jeanette Toussaint

Anni von Gottberg Copyright: Anni von Gottberg zwischen 1936 und 1945 (Privatbesitz)

Lebensdaten:

1885 - 1958

Unter weiteren Namen bekannt als:

Anni von Normann, Anna Klementine Elsbeth Hedwig von Selchow


Beziehungen

Anni von Gottberg (geb. am 7. Mai 1885; gest. am 9. Juli 1958) engagierte sich in der Bekennenden Kirche im Land Brandenburg. Sie stand in Verbindung mit dem Pfarrer und Theologen Theodor Krummacher. Im November 1934 lernte sie Albrecht Schönherr kennen, den späteren Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Dieser war nach Potsdam versetzt worden, um die Organisation der Bekennenden Gemeinden zu unterstützen. Bei Anni von Gottberg erhielt er „geistliches Refugium“, wie er in seinen Erinnerungen schrieb. Als er Mitte April 1935 Potsdam verließ, um als Kandidat an das neu gegründete Predigerseminar in Zingst zu gehen, entwickelte sich zwischen beiden ein mehrjähriger Briefwechsel, in dem sie ihn über die Situation der Bekennenden Kirche in Potsdam auf dem Laufenden hielt, ihn aber auch an persönlichen Ereignissen teilhaben ließ. Eine Zeit lang hatte sie auch Kontakt mit seiner Mutter Ida Schönherr, die der Bekennenden Kirche in Neuruppin angehörte.

Durch ihre Mitarbeit in verschiedenen Bruderräten der Bekennenden Kirche stand sie unter anderem im Austausch mit Kurt Scharf, Hans Asmussen, Otto Dibelius, Carl Gunther Schweitzer, Constantin von Dietze, Heinrich Vogel und Martin Albertz. Sie schätzte Dietrich Bonhoeffers klare Ansichten und hatte, zumindest kurzzeitig, Kontakt zu seiner Mutter Paula und auch zu Martin Niemöller. Enge familiäre Bindungen bestanden zu ihrem Cousin Franz von Gottberg und dessen Ehefrau Barbara. Beide unterstützten die Bekennende Kirche. Einer ihrer Söhne, Helmut von Gottberg, war in das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 involviert, ebenso wie Anni von Gottbergs Sohn Sigurd.

Einfluss auf ihr christliches Engagement hatten auch familiäre Traditionen: Ihre Tante Anna von Selchow hatte seit der Gründung der Potsdamer Ortsgruppe des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes im Jahr 1900 deren Vorsitz inne. Der Vater war von 1905 bis 1907 Kurator des evangelischen Diakonenheims in Berlin. Franz von Gottberg fungierte seit 1925 als Patronatsvertreter für die Potsdamer Friedenskirche. Ihr Ehemann Wolf von Gottberg war Regierungsrat für die Kirchen und Schulen im Regierungsbezirk Potsdam und in mehreren Friedensorden sowie im Johanniter-Orden aktiv.

Wirkungsbereich

Im Mai 1934 gründete sich die Bekennende Kirche in Deutschland, um sich der Gleichschaltung der evangelischen Kirchen durch den nationalsozialistischen Staat zu widersetzen. Die Geschichte der daran beteiligten Frauen ist durch die Schicksale von prominenten Mitgliedern wie Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer weitestgehend in Vergessenheit geraten. Zudem wurden Frauen auch in der Bekennenden Kirche durch die evangelische Kirchenpolitik ausgegrenzt, so dass sie keine exponierten Stellen besetzen konnten und kaum Spuren in den historischen Quellen hinterlassen haben. Eine dieser Frauen ist Anni von Gottberg. Die adelige Leutnantstochter engagierte sich zunächst auf kommunaler Ebene der Bekennenden Kirche. Sie war sowohl Mitglied im Bruderrat der Potsdamer Friedens-Erlösergemeinde als auch im Kreisbruderrat. 1935 wurde sie als theologische Laiin und einzige Frau in den Brandenburgischen Provinzialbruderrat der Bekennenden Kirche aufgenommen. Anni von Gottberg war – neben der Geschäftsführerin des Bruderrates in Pommern, Stephanie von Mackensen – die einzige Frau auf dieser Ebene der Bruderräte. Senta Maria Klatt, Sekretärin in der Geschäftsstelle der Bekennenden Kirche Brandenburg, resümierte zu Beginn der 1980er Jahre: „[...] es gab keine Frauen, die vergleichbare Aufgaben ausführten oder Positionen einnahmen wie Kurt Scharf und Erich Andler oder Otto Dibelius. Ich habe – nach Barmen 1934 – doch alle Bekenntnissynoden mitgemacht, ob in Brandenburg oder in der deutschen Gesamtkirche. Und so weit ich mich entsinnen kann, sind auf diesen Synoden außer Frau von Mackensen und Frau von Gottberg niemals Frauen hervorgetreten. Zwar hatten wir in den Gemeinden damals schon Vikarinnen – heute Pastorinnen oder Pfarrerinnen. Aber im Grunde begann die Rolle der Frau in der Bekennenden Kirche auf der Ebene der Zuarbeiter: der Mägde“ (zitiert nach See/Weckerling: 14).

Reformatorische Impulse

Anna Klementine Elsbeth Hedwig – sie selbst nennt sich später Anni – wird am 7. Mai 1885 auf dem väterlichen Gut Karolinenthal (Żelazkowo) im Landkreis Lauenburg in Pommern geboren. Sie ist das vierte Kind des Leutnants Friedrich von Selchow und seiner Ehefrau, der Gutstochter Hedwig Kratz. 1893 verkauft die Familie das Gut aus wirtschaftlichen Gründen und zieht nach Berlin. Hier absolvieren die drei Geschwister – eine Schwester ist bereits verstorben – eine höhere Schulausbildung. Danach trennen sich ihre Wege. Ehrengard von Selchow arbeitet als Lehrerin. Bogislav von Selchow wird Fregattenkapitän und gehört später zu den rechten Kräften, die die Weimarer Republik bekämpfen. Nach 1933 erlangt er als Schriftsteller und Dichter Ruhm und Ehrungen für seine antisemitischen und rassistischen Schriften. Als Schwester bleibt Anni von Selchow ihm zeitlebens verbunden. Seine Gottesgläubigkeit, eine Mischung aus nordisch-germanischen Religionsideen und antisemitischer Ideologie, kann sie nicht verstehen. Später wird sie Albrecht Schönherr schreiben: „Wie kann der Mensch vernünftig weiterleben, wenn er nichts in sich hat.“

Unbekannt ist, ob sie sich mit ihrem Bruder über seinen Glauben und seine Veröffentlichungen auseinandergesetzt hat.

Welche Pläne Anni von Selchow nach dem Schulabschluss hat, ist nicht bekannt. In den überlieferten Dokumenten heißt es, sie sei ohne Beruf. Vielleicht besucht sie eine der Haushaltsschulen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer zahlreicher in Deutschland entstanden sind und in denen junge Frauen auf das Führen eines repräsentativen Haushaltes vorbereitet werden. Weder bei ihrem Bruder noch bei ihrer Schwester ist eine Heirat in Aussicht. Daher ist es naheliegend, dass wenigstens sie standesgemäß verheiratet werden und Kinder bekommen soll, um die Familie zu erhalten. Dafür gibt es im Adel entsprechende Heiratsregeln. Wichtig ist, dass die künftigen Partner und Partnerinnen von gleichem Rang sind, um den politischen und wirtschaftlichen Status des Familienverbandes zu sichern und zu vergrößern. Häufig werden die Ehen innerhalb der weit verzweigten Familien geschlossen. Das so entstehende Familiennetzwerk dient der gegenseitigen Unterstützung, beinhaltet aber auch soziale Kontrolle. Anni von Selchow heiratet 1910 den 13 Jahre älteren Oberleutnant und Rittmeister Hasso von Normann, der zur weitläufigen Verwandtschaft gehört. 1917 kommt ihr Sohn Sigurd in Leba (Łeba) zur Welt, wo das Paar nun lebt.

Das Bild zeigt Anni von Normann mit ihrem Sohn Sigurd (Copyright: Privatbesitz).

1922 wird die Ehe geschieden. Anni von Normann zieht mit ihrem Sohn zu ihrer inzwischen verwitweten Mutter nach Berlin und später nach Potsdam. In der ehemaligen königlichen Residenzstadt leben vor allem höhere Verwaltungsbeamte, Pensionäre und Angehörige des Adels. Dazu gehören auch ihre Cousins Franz und Wolf von Gottberg. 1926 heiratet Anni von Normann ihren 20 Jahre älteren Cousin Wolf, der als Regierungsrat in der Abteilung für Kirchen und Schulen angestellt ist.

Nach der Gründung der Bekennenden Kirche im Mai 1934 beginnt Anni von Gottbergs Engagement in der kirchlichen Opposition. Sie trägt wesentlich zum Aufbau der organisatorischen Struktur der Bekennenden Kirche in Potsdam bei. So lädt sie im August 1934 bekenntnistreue Pfarrer und Gemeindemitglieder in ihre Wohnung ein. Mit ihnen gemeinsam initiiert sie Bibelkreise, in denen die Mitglieder über ausgewählte Passagen aus der Bibel diskutieren und Informationen über die aktuelle kirchenpolitische Lage austauschen. Auch in ihrer Wohnung findet ein regelmäßiger Bibelkreis statt, später gründet sie weitere. Sie betreut einen Teil der Helferkreise der Gemeinde. Hier sind in erster Linie Frauen engagiert, deren Aufgabe es auch ist, die Mitgliedsbeiträge für die Bekennende Kirche einzusammeln. Anni von Gottberg organisiert viele Abende für die Gemeinde, sammelt Spenden und gewinnt für Vorträge und Predigten prominente Vertreter der Bekennenden Kirche wie Hans Asmussen.

Im Sommer 1935 wird Anni von Gottberg Mitglied im Kreisbruderrat der Bekennenden Kirche für den Kirchenkreis I in Potsdam. Auch der frühere kaiserliche Staatssekretär Friedrich Freiherr von Falkenhausen ist dort engagiert, da ihm der Machtanspruch und der Glaubensinhalt der Deutschen Christen widerstreben. Diese evangelische Glaubensbewegung, 1932 gegründet und von der NSDAP unterstützt, folgt der nationalsozialistischen Politik und Rassenideologie und hat seit der Kirchenwahl im Juli 1933 einen Großteil der wichtigen Kirchenämter inne. Dagegen möchte er sich wehren und übernimmt die Leitung des Bruderrates. Das Bekenntnis steht für ihn dabei erst an zweiter Stelle. Anni von Gottberg und Friedrich von Falkenhausen sind in den nächsten Jahren auch gemeinsam im Gemeinde- und Provinzialbruderrat der Bekennenden Kirche engagiert. Zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, deren eine Ursache wohl in der unterschiedlichen persönlichen Bedeutung des Bekenntnisses liegt. Konfliktstoff bieten auch die gesellschaftlichen und patriarchalischen Verhältnisse in den Bruderräten, wie Anni von Gottberg 1936 in einem Brief an Albrecht Schönherr resümiert: „In Potsdam sieht man doch in erster Linie auf den Rang und wenn man wagt anders wie diese hohen Herrschaften zu denken und noch dazu eine Frau gegen die Männer redet, dann ist man doch unmöglich.“ Auch heißt es in einer vorläufigen Arbeitsanweisung für die Bildung von Gemeinde- und Kreisbruderräten der Bekennenden Kirche in der Provinz Brandenburg, das Verhältnis von Frauen zu Männern solle nicht mehr als 1:3 betragen.

Im Dezember 1935 werden Anni von Gottberg und Friedrich von Falkenhausen in den Brandenburgischen Provinzialbruderrat der Bekennenden Kirche berufen. Auch hier führt ihre kompromisslose Haltung zu Konflikten, wie sie im Januar 1936 Albrecht Schönherr mitteilt: „[...] ich hatte noch eine Aussprache mit ihm [Asmussen, J.T.] allein, es drehte sich um meine vielen Nöte hier. Ich steige nämlich fortgesetzt den Pastoren hier aufs Dach, anstatt sie mir. Asmussen gab mir Weisung, nur in demselben Tempo fortzufahren. [...] ich verstehe ja die Menschen nicht mehr, Schweitzer, [...] Falkenhausen. Von letzterem bekam ich neulich eins mit der Knute übergezogen, als er sagte – es war von Taktik die Rede – die Katholiken wären allein durch ihre Taktik groß und mächtig geworden! Also! Ja wollen wir denn Cardinäle und Jesuiten züchten!!?“ Acht Tage später greift sie noch einmal das Thema auf: „Tausend herzlichen Dank, Sie ahnen nicht wie gut das tut verstanden zu werden – einsam auf Vorposten in Potsdam! Mittwoch konnte ich auch in Berlin im Provinzialbruderrat nicht den Mund halten und lag mich daher mit Falkenhausen wegen dieser Taktik stark in den Haaren. [...] Ja, den ‚Unfrieden’ bringe ich in Potsdam, der ist vielen unbequem, Menschen können mich aber nicht verletzen, ich will ja nur meinen Weg im Gehorsam gehen – weiter nichts.“

Das kirchliche Notrecht, ausgerufen auf der Dahlemer Synode im Oktober 1934, ist die Voraussetzung zum Aufbau eines eigenen Kirchenregiments der Bekennenden Kirche mit einer neuen Struktur, Ausbildung und Finanzverwaltung etc. Damit lehnt die Bekennende Kirche die offizielle Verfassung der evangelischen Reichskirche ab und verweigert die Zusammenarbeit mit den Deutschen Christen. Die konsequente Durchsetzung des Notrechtes führt in allen bekennenden Gemeinden zu Konflikten. Vielen erscheinen die in Dahlem gefassten Beschlüsse zu weitgehend. Anni von Gottberg setzt sich für die konsequente Durchsetzung des Notrechts ein und wendet sich auch gegen jegliche Zusammenarbeit der Bekennenden Kirche mit der nationalsozialistischen Reichskirche. Das zieht Auseinandersetzungen mit Gemeindemitgliedern, Pfarrern und Bruderratsmitgliedern nach sich, die ein Arrangement unter bestimmten Bedingungen für möglich halten. Darunter leidet auch das einst gute Verhältnis zu Carl Gunther Schweitzer, dem Superintendenten des Kirchenkreises II, mit dem sie gemeinsam im Brandenburgischen Provinzialbruderrat engagiert ist. Sie schreibt ihm Briefe, erklärt ihre Haltung, so im Februar 1936: „Bei mir ist alles ganz schrecklich einfach. So gewiss ich weiss, dass Gott es war, der mich trieb hier zur Bekennenden Kirche aufzurufen, so gewiss weiss ich auch, dass Er mich, durch seine Gnade allein, den geraden Weg sehen lässt, hin zum Ziel – zum Kreuz –, den ich mich bemühe im Gehorsam zu gehen. Damit ist eigentlich alles gesagt. Auf Menschen kann ich mich nicht dabei verlassen, weder auf den einen, noch auf den andern, fällt einer, falle ich mit, darum allein Blick auf Christus: Er trug das Kreuz für mich, da darf ich keine Ruhe haben, weil Sein Name geschändet wird. [...] Ich empfinde es als grosse Tragik, dass den Menschen, die bisher mit uns gingen, nun der Blick getrübt wird. Mir war der Weg klar von Anfang an, ‚Totalität’ sagt alles. Ich verwerfe das Wort ‚die Radikalen’, man sollte an diese Stelle lieber setzen: Gefangene des Befehls Jesu Christi: folge mir nach. Wenn ich Ihnen dennoch radikal erscheine, so liegt das an den schweren Verhältnissen Potsdams. All das fortgesetzte Handeln der sogenannten Bekenntnis Pastoren gegen die Bekennende Kirche sind für mich Peitschenschläge. Sie wissen, dass ich als dauernder Mahner hier immer wieder vor die Pfarrer trete, wie Sie es ja selbst auf unserer letzten Rüstzeit von uns erbeten haben. Das ist auf die Dauer masslos aufreibend und zermürbend und ich hoffe nur, dass die Brüder es einem anmerken, dass man nur aus helfender Liebe heraus so sprechen muss. Hier wird heiliges und weltliches Wesen vermischt, darum trete ich dem immer wieder entgegen mit dem: es steht geschrieben. Ihren Satz: Wir dürfen den Rausch auf der andern Seite nicht durch einen Gegenrausch auf unserer bekämpfen, möchte ich stark entkräften. Rausch ist für mich Begeisterung, etwas was verfliegt. Kann man denn im Rausch Diener der Kirche sein? Knecht Gottes aber bedeutet für mich: völlige Unterordnung unter Seinen Willen, weiter nichts.“ Albrecht Schönherr, dem sie die Briefe in Abschrift sendet, gesteht sie: „[...] ich komme mir so klein vor, wenn ich diesen klugen Männern mit meiner Überzeugung entgegen trete, aber bin andererseits so froh und entsetzlich dankbar, daß ich es eben muß, ohne mein eigenes Dazutun, allein aus der Gnade Gottes heraus.“

Doch die viele Arbeit und die kräftezehrenden Auseinandersetzungen hinterlassen auch Spuren, wie sie in einem Urlaubsbrief im Juli 1936 andeutet: „Mein Mann würde am liebsten täglich große Touren machen, er fühlt sich so prachtvoll rüstig, aber für mich sind das Strapazen, ich bin so schrecklich müde und könnte immer liegen und schlafen.“ Auch fehlt ihr mitunter der Rückhalt in der Familie: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert, es schneidet oft schon unsere Familie durch, ich sprach Ihnen damals schon von meinen Schwierigkeiten zu Hause, sie nehmen nicht ab, im Gegenteil, aber der Herr gibt immer wieder Kraft, wenn wir nur treu sind. Für mich liegt hier wohl der größte Kampf, man wird einsam wie der Vogel auf dem Dache, wie das Käuzlein.“

1937 verschärft sich die Situation der Bekennenden Kirche in Deutschland. Die Bemühungen, eine einheitliche Reichskirche zu schaffen, sind endgültig gescheitert. Immer mehr Mitglieder werden verhaftet. Am 1. Juli auch Martin Niemöller. Er hatte in seinen Predigten wiederholt die staatlichen Maßnahmen gegen die Bekennende Kirche kritisiert. Im Sommer erhält Anni von Gottberg einen Strafbefehl wegen des Sammelns einer verbotenen Kollekte für die Bekennende Kirche. Auf Grund des Vorwurfes, sie habe ein Schreiben der Bekennenden Kirche vervielfältigt, wird sie im Herbst 1937 auch kurzzeitig verhaftet und von der Gestapo verhört. Zu einem Verfahren kommt es nicht. Martin Niemöller wird im März 1938 in das KZ Sachsenhausen überstellt. Zahlreiche Abordnungen von Kirchengemeinden fahren nach Berlin, um bei den Behörden seine Freilassung zu erwirken. Auch Anni von Gottberg führt Gemeindedelegationen zu den Ministerien. Erfolg haben sie nicht.

1938 endet der intensive Briefwechsel zwischen Anni von Gottberg und Albrecht Schönherr. Daher ist über ihr Engagement in der folgenden Zeit wenig bekannt. Erhalten geblieben sind Rundbriefe, die sie an die Mitglieder der Bekennenden Kirche versendet hat und aus denen hervorgeht, dass sie sich weiter um den Zusammenhalt der Gemeinden und um Spenden für die Kirche bemüht.

Nach dem Ende des Krieges beteiligt sich Anni von Gottberg am Aufbau einer neuen evangelischen Kirche. Im August 1945 wird sie wieder in den Kreisbruderrat der noch nicht aufgelösten Bekennenden Kirche und später in den Kreiskirchenrat gewählt. Sie leitet die Geschäftsstelle der Bekennenden Kirche in Potsdam. Darüber hinaus ist sie Mitglied im Kirchenrat der Potsdamer Friedensgemeinde. Bei den Wahlen des Gemeindekirchenrates im April 1953 wird sie mehrheitlich zur Ältesten gewählt. 1954 erkrankt sie an Krebs und legt ihre Ämter nieder. Ein Jahr später zieht sie zu ihrem Sohn und seiner Familie nach Hamburg. Dort stirbt sie am 9. Juli 1958. Sechs Wochen später wird sie neben ihrem Ehemann auf dem Bornstedter Friedhof in Potsdam beigesetzt.

Kommentar

Anni von Gottberg wuchs in einer Zeit auf, in der Frauen nur schwer Zugang zu höherer Bildung und Berufstätigkeit hatten. Bemerkenswert ist ihre Entwicklung zu einer theologischen Laiin sowie ihre Beharrlichkeit und Klarheit, mit der sie ihre Überzeugungen gegen jeglichen Widerstand vertrat. Als Frau und Laiin stieß sie im Umfeld der Bekennenden Kirche auf tradierte patriarchalische Hierarchien, die die Auseinandersetzungen beeinflussten. Anni von Gottberg war unbequem und unerschütterlich in ihrem – so sie selbst – von Gott geleiteten Weg. „Die Halben wird Gott aus dem Munde speien“ hatte ihr Vater einmal gesagt. Dieser übertragene Satz aus der Offenbarung Johannes „Weil du aber lau bist, und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (Offb 3,16) wurde zu ihrem Lebensmotto. Sie mochte keine Kompromisse und forderte von sich und anderen eine klare Haltung. Damit konnte sie viele Menschen begeistern und anziehen. Zugleich führte dies auch zu Differenzen mit Gleichgesinnten und Familienangehörigen. Wann Anni von Gottberg begann, sich intensiv mit der Heiligen Schrift auseinanderzusetzen, ist nicht bekannt. 1936 schrieb sie an Albrecht Schönherr, sie bedauere es, keine Theologin zu sein. Bis zu ihrem Tod hat sie sich mit religiösen Fragen auseinandergesetzt. In ihrem Nachlass fand die Familie zahlreiche eigene theologische Ausarbeitungen, die leider nicht erhalten geblieben sind. 1995 wurde eine Straße in Potsdam nach ihr benannt.

Zum Weiterlesen

J. Erb-Rogg: Anni von Gottberg (1885-1958), in: A. Leschonski (Hg.), Anna, Lily und Regine. 30 Frauenporträts aus Brandenburg-Preußen, Berlin 2010, 116-120.

A. Schönherr: Potsdam und Anni von Gottberg. Erinnerungen aus der Zeit des Kirchenkampfes der Bekennenden Kirche, in: M. Richter (Hg.): Bornstedt. Friedhof und Kirche. Spuren aus der preußischen und Potsdamer Geschichte, Berlin 1993, 106-112.

A. Schönherr: ... aber die Zeit war nicht verloren. Erinnerungen eines Altbischofs, Berlin 1993.

W. See/R. Weckerling: Frauen im Kirchenkampf. Beispiele aus der Bekennenden Kirche Berlin-Brandenburg 1933 bis 1945, Berlin 1984.

J. Toussaint: Ich bin für Potsdam das rote Tuch. Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche, Wilhelmshorst 2011. [Die im Text zitierten Auszüge aus den Briefen von Anni von Gottberg an Albrecht Schönherr finden Sie im Buch. Die Verfasserin besitzt alle Briefe in Kopie, die Originale sind verschollen.]

Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V hat eine Website zu Anni von Gottberg herausgeben: http://anni-von-gottberg.de/ (Zugriff am 29.10.2013).