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Wibe Junge (Jungen)

Wibe Junge setzte sich mutig, wenn auch vergeblich, gegen die Ermordung des reformatorisch gesinnten Märtyrers Heinrich von Zütphen in Heide im Jahr 1524 ein

Ein Beitrag von Nanna Mury

Wibe Junge (Jungen)

Lebensdaten:

ca. 1485 - nach 1524

Unter weiteren Namen bekannt als:

Wibe Nanne (Nannen, Nann, aus dem alten Geschlecht der Wurtmannen)


Beziehungen

Wibe ist etwa 1485 in Hemmerwurth bei Hemme geboren, Tochter des Hans Peter Nanne, der um 1480 Regent im Rat der Achtundvierziger zu Hemmerwurth war. Seit der Aufzeichnung des Landrechts im Jahre 1447 war es üblich, dass vier Dithmarscher Vogteibezirke je zwölf Vertreter als Ratgeber im Schiedsgericht wählten, welches wöchentlich in Heide tagte. Die Achtundvierziger bauten ihre Machtposition aus und nahmen ab 1509 Regentschaftsfunktionen wahr. Wie schon der Vater Wibe Junges traten auch drei ihrer Brüder als Regenten hervor; einer von ihnen, Olde Peter Nanne, setzte sich 1545 vor dem Wormser Reichstag und 1549 vor dem Kaiser in Brüssel für die Rechte Dithmarschens ein.

Da die Heiratspolitik in der Regel vorsah, Regententöchter standesgemäß zu verheiraten, wurde auch Wibe Nanne einem Regenten versprochen: Claus Junge, Regent zu Hemme von 1500 bis 1514, Sohn des Jeben Junge Clawes aus dem Geschlecht der Sulemannen, einer Familie von Rang und Namen und weitreichenden Kontakten. So hatte Wibe Junges Schwiegervater 1477 das Land vor Papst Sixtus IV. in Rom vertreten.

Als Tochter eines Regenten, als Schwester dreier Regenten, als Ehefrau eines Regenten und als Schwiegermutter eines Regenten hatte Wibe Junge Vorbildfunktion. Sie war vermögend, angesehen und einflussreich und erfüllte eine vorgeschriebene Rolle.

Obwohl Luthers reformatorische Forderungen die Rechte der herrschenden Oberschicht und der katholischen Geistlichen einschränkten, entschied sie sich doch für die neue Glaubenslehre.

Als reiche Witwe zog Wibe Junge nach Meldorf. Über den Zeitpunkt ihres Todes ist nichts überliefert.

Wirkungsbereich

Über Wibe Junges alltägliches Leben als Frau eines vermögenden Dithmarscher Regenten gibt es keine Aufzeichnungen. Aber zeitgenössische Quellen und erhaltene Objekte aus dieser Zeit geben Aufschluss über den Lebensstil anderer einflussreicher Persönlichkeiten der Bauernrepublik Dithmarschen.

Hierzu gehört etwa der noch erhaltene prächtig ausgestattete Pesel des Markus Swin, Regent in Lehe von 1546 bis 1585. Nach Swins Ernennung zum herzoglichen Landvogt 1559 diente der Saal als Gerichtssaal und Versammlungsort der Räte. Bereits sein Großvater Peter Swin, Regent in Lehe von 1499 bis 1537, soll den Hof erbaut haben. Die Wände und Kassettendecke waren holzvertäfelt, mit Schnitzwerk und Gemälden reich geschmückt, die bleigefaßten Fensterscheiben mit Bildern und Geschlechterwappen verziert. Die Dithmarscher Regenten lebten in üppigstem Reichtum in großen Höfen mit umfangreichem Landbesitz. So besaß Markus Swin rund 110 ha Land – dies machte ihn zum zweitgrößten Grundeigentümer im Kirchspiel Lunden. In reich beschnitzten Wandschränken und auf Konsolbrettern befand sich ihr kostbarer Hausrat: Silbergeschirr und -besteck, hochwertige Tonwaren, Steinzeug, Zinngefäße. Die prächtig verzierten Truhen, Kisten und Laden waren mit Tisch- und Bettwäsche und mit Kleidung gefüllt. Diese bestand aus Leinen, Wollgeweben und Pelzen, aber auch aus Samt und Seide aus Italien, und war mit Silberschmuck verziert. Im Pesel oder beheizbaren Döns hingen Spiegel, Messingkronleuchter und Heiligenbilder. Kostspielige Feste gehörten zum Alltag: Sie fanden zur Verlobung, Hochzeit und Taufe statt, aber auch an den großen Kirchenfeiertagen, beim Vogelschießen und bei der alljährlichen Heerschau. Der Reichtum der führenden Geschlechter spiegelt sich auch in den zahlreichen frommen Stiftungen in Form von Kirchenneubauten, Triumphkreuzen, Altären und Kirchenausstattungen wider. Aber auch Bildung und Erziehung hatten in den Regentenfamilien einen hohen Wert. Von 1500 bis 1560 immatrikulierten sich an den Universitäten von Rostock, Leipzig und Wittenberg 110 Dithmarscher Regentensöhne. Auch Markus Swin war ein Mann mit humanistischer Bildung, der in den Niederlanden Jurisprudenz studiert hatte und eine umfangreiche Bibliothek besaß. So erscheint es nicht verwunderlich, dass auch Wibe Junge gebildet und für neue Geistesströmungen – wie etwa die lutherische Lehre – aufgeschlossen war. 

Reformatorische Impulse

Als ihr Mann starb, war Wibe Junge etwa 29 Jahre alt; sie wird als begüterte und vornehme Einwohnerin Meldorfs beschrieben. Dort trat sie auch erstmals in Verbindung mit dem Meldorfer Pfarrer Nicolaus Boie, hörte seine Predigten und kam mit dem reformatorischen Gedankengut in Berührung. Auch Wibe Junge sei dem Prediger, der die lutherische Lehre vehementer vertreten habe als Luther selbst, nicht nur eine aufrichtige Freundin, sondern auch eine starke Beförderin gewesen. „Sie nahm sich mit besonderem Eifer der Verbreitung des Evangelium an“ (Lau 1867, S. 140).

1524 bat die Meldorfer Gemeinde den Prediger Heinrich von Zütphen nach Meldorf zu kommen und die neue Lehre Martin Luthers zu verkünden. Wibe Junge habe Zütphen „daselbst mit grossen Freuden empfangen“, so der Wortlaut in der Dithmarsischen Chronik Anton Heimreichs von 1683. Will man den späteren Ausführungen bei Lau folgen, sei das Insistieren Junges und ihr Einfluss auf Boie bei der Berufung Zütphens nicht unbedeutend gewesen. Sie soll auch selbst mit Martin Luther Briefe gewechselt haben.

Heinrich von Zütphen, geboren um 1488 in Zütphen in Holland, hatte 1508 in Wittenberg studiert und wurde 1515 Prior der Augustinereremiten in Dordrecht. Bereits dort stieß er mit seinen vehementen reformatorischen Praktiken auf derartigen Widerstand, dass er 1520 das Prioramt ablegen musste. Als einfacher Mönch ging er nach Wittenberg, wo er die akademischen Grade des Baccalaureus und des Lizenziats erwarb; hier machte er auch die Bekanntschaft Luthers, zu dessen engerem Kreis er vermutlich angehörte. Als er 1522 zurück nach Antwerpen kehrte, wurde er als Anhänger der neuen Lehre verfolgt und entging knapp der Hinrichtung Ende November 1524 begab sich Zütphen nach Meldorf. In Dithmarschen fand er großen Beifall unter seinen Anhängern, rief jedoch auch scharfe Kritiker auf den Plan. Das öffentliche Predigen des lutherischen Reformators war den Interessen der katholischen Kirche zunehmend ein Dorn im Auge. So gelang es dem Prior des Meldorfer Klosters Torneborch schließlich, bei den Achtundvierziger Regenten ein Predigtverbot Zütphens zu erwirken. Pfarrer Nikolaus Boie widersprach dieser Anordnung und berief sich auf sein Recht, einen Prediger nach seinem Willen einsetzen zu dürfen. Daraufhin veranlasste der Prior des Lundener Klosters, den aufrührerischen Prediger gefangen zu nehmen. Heinrich von Zütphen wurde mit brutaler Gewalt aus dem Haus Nikolaus Boies in Meldorf entführt und  am 10.12.1524 zum Scheiterhaufen auf die Heider Richtstätte getrieben.

Wibe Junge stellte sich der aufgebrachten Menge entgegen. Sie bot 1000 Gulden und verlangte, dass der Prediger vor das Gericht der Landesversammlung gebracht werde. Aber man trat sie mit Füßen. Nach der Verkündung des Urteils wurde Heinrich von Zütphen erschlagen, sein Leichnam zerstückelt und verbrannt. 

„Do ging hentho eine frame christlike Fruwe, Clawes Jungen Fruwe, mit Namen Wibe, (mit Wives Namen,) eine Suster Peter Nannen, wanhafftich tho Meldorp, vor dat Vuer unnd erboth sick, men scholde se thor Stupe schlaen, up dat ehr Torne gebötet worde. Dartho wolde se dusent Gulden geven, men scholde den Man wedder insetten, man beth up negesten Mandach, dat he van dem ganzen Lande verhöret worde, uund den vorbrenden. Do se dat höreden, worden se rasende uund unsinnich unde schlögen de Fruwen tho der Erden, treden se mit Voeten, schlögen mit aller Gewalt den guden Martyr Christi“ (Adolfi J., gen. Neocorus, II, 1827: 25).

[„Da trat hinzu eine fromme christliche Frau, Claus Junges Ehefrau, namens Wibe (mit Vornamen), eine Schwester von Peter Nannen, wohnhaft zu Meldorf, vor das Feuer und bot an, man solle sie zur Staupe schlagen, damit ihr Zorn beruhigt werde. Außerdem wolle sie 1000 Gulden geben, wenn man den Mann wieder gefangen nehme bis zum nächsten Montag, damit er vor der Landesversammlung verhört werde und dann erst verbrannt. Da sie das hörten wurden sie rasend und unsinnig und schlugen die Frau zu Boden und traten sie mit Füßen, und schlugen den guten Märtyrer Christi mit aller Gewalt.“]

Darstellung der Hinrichtung des Bruders Heinrich von Zütphen am 10.12.1524 in Heide, Stich von Johann Christian Püschel um 1740 aus Westphalen, Ernst Joachim von (Hrsg.): Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue – Schleswig Holstein, 1743, darin Johan Russe, Collectanea de rebus Dithmarsicis

Kommentar

Mutig hatte Wibe Junge versucht, gegen die Macht des Landessekretärs, der Regenten und der Mönche den Prediger der neuen reformatorischen Gedanken zu verteidigen. Sie hatte ihr Vermögen von 1000 Gulden angeboten, was zu ihrer Zeit etwa dem Wert von 200 Ochsen entsprach. Heute betrügen der Goldwert von 1.000 Lübischen Gulden mit 3,5g Feingold etwa 120.000 Euro und die Kaufkraft etwa 270.000 Euro.

Erst acht Jahre später konnte sich in Dithmarschen die Reformation durchsetzen. 1533 wurden die katholischen Meßgottesdienste abgeschafft und die Kirchenaufsicht auf vier Superintendenten übertragen.
1540 gründete der Regent Reimer Wolderich, Schwiegersohn Wibe Junges, in dem ehemaligen Dominikanerkloster zu Meldorf eine reformatorisch gesinnte Schule, aus der die heutige Gelehrtenschule hervorging.

Heute noch erinnert das 1830 errichtete Zütphen-Denkmal auf dem Heider Nord-Friedhof an den Reformator, und seit 1995 trägt eine Straße im Wesselburener Neubaugebiet den Namen „Wibe-Junge-Weg“. Ihr Name lebt auch weiter in dem 1996 in Heide gegründeten Pflegeheim „Wibe-Junge-Haus“.

Zum Weiterlesen

J. Adolfi, gen. Neocorus: Chronik des Landes Dithmarschen I und II, hrsg. v. F. C. Dahlmann, Kiel 1827 (Reprint Leer 1978). 

A. W. Heimreich: Dithmarsische Chronik, Schleswig 1683.

G. J. Th. Lau: Geschichte der Einführung und Verbreitung der Reformation in den Herzogthümern Schleswig-Holstein bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts, Hamburg 1867.

A. Lühning: Haus und Pesel des Markus Swin, Heide 1997 (bes. S. 138).

W. Seegrün: Heinrich von Zütphen − seine Ideen, sein Feuertod und Dithmarschens Weg einer Germeindereformation. in: Verein für katholische Kirchengeschichte. Beiträge und Mitteilungen 3 (1990), 103-127.

H.Stoob: Geschichte Dithmarschens im Regentenzeitalter, Heide 1959.